Kann das Grundeinkommen in der Coronakrise helfen?

Die Existenzangst nehmen

Die Corona-Krise verängstigt, Unternehmen fürchten pleite zu gehen, Jobverlust droht. Eine Alternative zu den angekündigten staatlichen Hilfskrediten könnte ein bedingungsloses Grundeinkommen sein. Das ist aber umstritten.

Initiative: "1000 Euro Grundeinkommen für jeden!" / © Christian Horz (shutterstock)
Initiative: "1000 Euro Grundeinkommen für jeden!" / © Christian Horz ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Erläutern Sie uns bitte noch mal die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens.

Michael Bohmeyer (Initiator des Vereins "Mein Grundeinkommen e.V."): Das ist eine politische Idee, die seit vielen Jahren diskutiert wird. Und die Grundidee ist, dass der Staat allen Menschen von der Geburt bis zum Tod jeden Monat einen ausreichend hohen Geldbetrag auszahlt, damit man in Würde davon leben kann, und zwar vollständig bedingungslos.

Das heißt, man kann Geld dazuverdienen, aber man muss das nicht, man kann auch nur davon leben. Es wird nicht überprüft, was man mit dem Geld macht, sondern man kriegt es einfach. Und diese neue Form von Gesellschaftsvertrag würde doch einiges, was wir heute für gottgegeben halten, ganz schön in Frage stellen.

DOMRADIO.DE: Menschen mit Verdienstausfällen haben Sorge, laufende Kosten wie zum Beispiel die Miete nicht mehr zahlen zu können. Warum wären wir mit einer bedingungslosen Idee des Grundeinkommens jetzt besser für die Krise gerüstet? Die Regierung beschließt doch jetzt auch schon großzügige Hilfen.

Bohmeyer: Genau, aber eine Hilfe ist etwas anderes als ein bedingungsloses Menschenrecht. Wenn ich das Gefühl habe, ich muss von jemandem die Hilfe in Anspruch nehmen, dann bringt mich das zumindest unterbewusst in ein Abhängigkeitsgefühl. Es sorgt dafür, dass ich mich nicht selbst wirksam darin fühle. Das macht etwas mit den Menschen. Es ist natürlich viel Bürokratie, und man muss lange auf Hilfen warten. Man muss hoffen, dass man überhaupt welche bekommt. Wenn wir von Hilfen reden, dann sprechen die Politiker bisher ja hauptsächlich von Krediten.

DOMRADIO.DE: ...die ja trotzdem zurückgezahlt werden müssen.

Bohmeyer: Eben! Kredite bringen prekär Selbstständige in neue Abhängigkeiten, die sie jahrelang zurückzahlen werden müssen. Das ist alles nicht ein Gefühl von Aufbruch und von "aus der Krise eine Chance machen", sondern irgendwie überleben.

Ich glaube, ein Grundeinkommen, auch über die Krise hinaus, könnte genau das Gegenteil bewirken. Wenn alle Menschen jeden Monat immer wieder mit diesem finanziellen Vertrauensvorschuss gesagt bekommen "wir glauben an dich, probier es doch mal, zeige doch mal, was du kannst", ich glaube, dann können wir Potenziale entfalten, die heute brachliegen, weil wir eher in einer Gesellschaft leben, die von Angst und Mutlosigkeit geprägt ist. Und das könnten wir ändern.

DOMRADIO.DE: Sie sammeln ja mit Ihrem Verein "Mein Grundeinkommen e.V." so lange Spenden, bis 12.000 Euro zusammengekommen sind. Und dann wird per Los entschieden, wer ein Jahr lang 1.000 Euro im Monat ohne weitere Bedingungen einfach so überwiesen bekommt. Man kann das ja als Experiment bezeichnen. Welche Beobachtungen haben Sie gemacht?

Bohmeyer: Über 500 Mal haben wir schon solche Jahresgrundeinkommen verschenkt. Und wir fragen die Menschen, wie das ihr Leben verändert. Und tatsächlich haben wir da Spannendes herausgefunden. Zunächst mal - vom Obdachlosen bis zum Millionär sind bei uns wirklich alle Menschen aus der Gesellschaft dabei. Und interessanterweise wirkt dieses Geld vor allem bei denjenigen, die denken, sie brauchen es ja gar nicht, und dies auch wirklich objektiv nicht benötigen.

Aber plötzlich etwas bedingungslos zu bekommen, das sorgt dafür, dass die Existenzangst wegfällt, selbst wenn die völlig irrational und unbegründet ist. Viele merken erst, wie sehr sie im Hamsterrad sind, und fragen sich dann: Ja, wie will ich denn eigentlich leben? Plötzlich sinkt der Stress, die Leute schlafen besser.

Wir haben zwei Menschen, deren chronische Krankheit gestoppt wurde, weil der Stress weg war. Die Leute arbeiten tatsächlich produktiver, weil sie mit einer anderen Haltung ins Büro gehen, weil es sich nämlich selbstbestimmter anfühlt. Ich kann mich gegen den Job entscheiden. Kann ich mich auch viel selbstbewusster dafür entscheiden. Leuten sagen, dass sie bessere Beziehungen führen, einige machen sich selbstständig. Was nicht passiert, ist, dass Menschen massenhaft ihren Job kündigen.

DOMRADIO.DE: Es gibt allerdings auch das Gegenargument, das, wie Sie ja selbst sagen, immer wieder gegen das bedingungslose Grundeinkommen angebracht wird. Das ist nämlich, dass niemand mehr arbeiten gehen würde. Wie verhält sich das jetzt in dieser aktuellen Situation?

Bohmeyer: Das wird häufig genannt, aber dafür gibt es überhaupt gar keinen wissenschaftlichen Beweis. In allen Grundeinkommens-Experimenten weltweit haben Menschen weitergearbeitet. Denn der Mensch handelt ja nicht rein rational, wie uns das die Wirtschaftswissenschaften immer glauben machen wollen. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er ist ein tätiges Wesen. Er möchte beitragen zur Gesellschaft, er möchte Identifikation und soziale Kontakte haben. Und das geht eben durch Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft besonders gut.

Und so haben eigentlich bis auf circa fünf Prozent der Menschen alle weiterhin in ihren Jobs weitergearbeitet. Die anderen fünf Prozent sind nicht faul geworden und liegen jetzt in der Hängematte, sondern sie haben sich weitergebildet, haben dadurch Jobs gefunden, die besser zu ihnen passen, oder haben sich tatsächlich selbstständig gemacht.

DOMRADIO.DE: Wird ein fester monatlich überwiesener Betrag nicht zu einer Inflation führen? Am Ende stehen dann vielleicht doch wieder die Schwachen unserer Gesellschaft nicht wirklich besser da.

Bohmeyer: Zu einer Inflation wird es nicht kommen, denn hier wird Grundeinkommen oft falsch verstanden. Es geht bei dieser Idee nicht darum, dass alle Menschen tausend Euro zusätzliches Cash in der Tasche haben. Wo sollte dieses Geld herkommen? Das muss natürlich irgendwie finanziert werden, über Steuern wahrscheinlich. Das heißt, zwar haben alle tausend Euro mehr am Monatsanfang, aber die, die deutlich mehr verdienen, müssten natürlich auch höhere Steuern zahlen als heute.

Das heißt, man muss das Mehr an Steuern gegen das Grundeinkommen gegenrechnen und stellt dann fest - je nachdem, welches Grundeinkommensmodell man anwendet - dass die Mehrheit der Gesellschaft ungefähr genauso viel Geld hätte wie heute, die Armen etwas mehr hätten und die Reichen etwas weniger. Aber alle hätten den Effekt im Kopf, dass sie wüssten, sie würden nicht unter eine bestimmte Marke rutschen. Und ich glaube, das ist ganz wichtig.

Heute kursiert eine riesige Angst davor, abzurutschen. Die Mittelschicht tritt nach unten, weil man Angst hat, selber irgendwann zur Unterschicht zu gehören und im Jobcenter Schlange stehen zu müssen. Das wollen alle verhindern. Und ich glaube, Angst ist kein guter Berater, erst recht nicht in solchen Krisensituationen. Deswegen sollten wir uns kollektiv die Angst nehmen. Grundeinkommen kostet nicht mehr Geld, sondern es ist eigentlich nur ein gegenseitiges Sicherheitsversprechen.


Quelle:
DR
Mehr zum Thema