Ein heiterer Frühlingstag mit wolkenlosem Himmel. Die Vögel zwitschern. Und durch das knospende Grün der Bäume fallen warme Sonnenstrahlen. Zumindest äußerlich ideale Bedingungen, um einem geliebten Menschen ein letztes Geleit zu geben. Das hoffnungsvolle Aufbrechen der Natur im hellen Licht verspricht im Kreislauf von Werden und Vergehen jedenfalls ein wenig Trost an einem solchen Tag des Abschiednehmens.
Vor der Trauerhalle des Friedhofs setzt sich ein kleiner Zug in Gang. Voran der Pfarrer, dann die Sargträger des örtlichen Bestattungsunternehmens und hinter dem Sarg ohne jeden Blumenschmuck eine überschaubare Gruppe Hinterbliebener: die Kinder und Enkel des hochbetagten Verstorbenen und zwei Geschwister. "Im engsten Kreis" werde "aus gegebenem Anlass" die Beerdigung stattfinden. So hatte es im Kleingedruckten der Zeitungsanzeige gestanden. Und damit folgt die Familie schweren Herzens der neuen Regelung, zur Bestattung momentan nur die Beteiligung von Angehörigen ersten Grades zuzulassen. In Zeiten von Corona nimmt das jeder ernst. Eine große Trauergemeinde gibt es daher nicht. Auch hier auf dem Friedhof geht es um Solidarität und größtmöglichen Abstand voneinander.
Stille Gedenkmessen statt großer Trauerfeiern
"Ein gewöhnungsbedürftiges Bild", findet Christof Dürig, leitender Pfarrer in Frechen, der solche Beerdigungen, bei denen nur abgezählte Trauergäste hinter dem Sarg hergehen, in diesen Tagen bereits häufiger gefeiert hat. "Es ist schon ein komisches Gefühl – erst recht, wenn man weiß, dass sich das alle anders gewünscht hätten." Schließlich sei der Verstorbene über viele Jahre ein verdientes PGR-Mitglied gewesen und wegen seines Engagements außerordentlich geschätzt worden. "Schon merkwürdig, wenn dann so gar keine öffentliche Anteilnahme möglich ist. Unter normalen Umständen hätte die halbe Gemeinde an der Trauerfeier teilgenommen und dadurch ihre Verbundenheit zum Ausdruck gebracht."
Aber die Umstände sind im Moment eben nicht normal. Exequien, so hat es das Erzbistum in Absprache mit dem Land Nordrhein-Westfalen und allen Diözesen bundesweit angeordnet, finden derzeit nicht statt, können aber als gemeinschaftlicher Gottesdienst später nachgeholt werden. Stattdessen wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit vom zuständigen Pfarrer eine sogenannte stille Gedenkmesse für den Verstorbenen gefeiert, deren Termin den Angehörigen mitgeteilt werden soll. "Verabschiedung und Beisetzung erfolgen nach den jeweiligen kommunalen Regeln. Das Mögliche soll trotz aller Einschnitte würdig vollzogen werden", heißt es wörtlich in der Anweisung aus dem Kölner Generalvikariat.
Ausgerechnet das nicht tun, was in der Seelsorge so wichtig ist
Das bedeutet, dass sich die Trauernden nicht einmal mehr im Inneren der Trauerhalle versammeln dürfen. Auch innige Umarmungen oder ein herzlicher Händedruck müssen ausbleiben. Und so holt Dürig die Trauernden auch nur an diesem Treffpunkt ab, um sich unmittelbar mit ihnen in Bewegung zu setzen. Behutsam weist er alle darauf hin, bei der kleinen Prozession den nötigen Abstand einzuhalten und damit den aktuellen Vorschriften zum Wohl des anderen zu entsprechen.
"Ich bin die Auferstehung und das Leben" – mit diesem Evangelium tröstet der Seelsorger dann am offenen Grab die Menschen, die um ihren Vater, Großvater und Bruder weinen. "Diese Botschaft gilt immer – unabhängig davon, ob wir viele oder wenige sind. Aus dieser Zusage Jesu müssen wir jetzt alle unsere Kraft beziehen", betont der Geistliche. Ein großer Gottesdienst an dieser Stelle unter freiem Himmel mit einer ausgedehnten Würdigung des Verstorbenen wie sonst üblich – und das alles im Stehen – scheint ihm als Ersatz für das, was ausfallen muss, dennoch unangemessen. "Wir werden das nachholen", verspricht er den Angehörigen und versucht, so gut es geht, seine Anteilnahme in einer kurzen einfühlsamen Ansprache zum Ausdruck zu bringen und mit sparsamen Gesten dennoch Zuversicht zu verbreiten. "Nähe zeigen bedeutet heute, Abstand halten", sagt er. Das sei schon paradox. "Schließlich besteht die eigentliche Herausforderung im Moment darin, ausgerechnet das, was uns in der Seelsorge so wichtig ist, nicht zu tun."
Es bleibt die Aufgabe, Trost zu spenden
"Es fehlt etwas ganz Wesentliches, wenn Menschen, die sonst Zuspruch aus den Sakramenten beziehen, nicht mehr wie gewohnt Eucharistie feiern können", stellt der Kölner Innenstadtpfarrer Peter Seul fest. Auch er muss sich erst an die neue Situation gewöhnen, Trauergespräche nun ausschließlich am Telefon zu führen. "Das nimmt viel von der Unmittelbarkeit seelsorglicher Zugewandtheit und Fürsorge." Und das in einer Akutsituation, in der für Hinterbliebene durch den Tod eines nahestehenden Menschen ohnehin schon viel Sicherheit wegbreche und die meisten unter Schock stünden. Nun gelte es, noch stärker als sonst auf die tröstende Wirkkraft des Wortes zu setzen. "Auch unter den derzeit erschwerten Bedingungen bleibt es ja unsere vorrangige Aufgabe als Seelsorger, Trost zu spenden und Nähe spürbar werden zu lassen, auch wenn wir das im Moment nicht mit einer Traueransprache im Gottesdienst machen können, in der der Verstorbene für alle Anwesenden noch einmal aufleben soll."
Es falle einfach viel weg, wenn die sehr persönliche Lebens- und Glaubensgeschichte des Verstorbenen, seine typischen Charaktereigenschaften, die unter Umständen in der liebevollen Erinnerung ja auch mitunter noch mal Heiterkeit hervorrufen würden, in einer offiziellen Feier nicht mehr ausführlich gewürdigt werden könnten, erklärt Seul. Auch das Kümmern derer, die sich bis zum letzten Atemzug als pflegende Angehörige um einen Sterbenden gesorgt haben und für ihren Dienst an dieser Stelle noch einmal Anerkennung erfahren sollten, hat für ihn bislang zu einer Traueransprache dazu gehört und war, so die Erfahrung, immer wichtig für die, die zurückbleiben.
Am Telefon ist tröstendes Gespräch nur bedingt möglich
Hinzu komme, dass gerade tragische Todesumstände besonderer Sensibilität bedürften und ein Austausch darüber bei einem anschließenden "Reue-Essen" innerhalb der Verwandtschaft oder unter Freunden ein ganz wichtiger Punkt dieses christlichen Rituals des Abschiednehmens sei, weiß der Pfarrer von St. Agnes aus Erfahrung. "Auch um den Tod dieses Menschen, zu dem ja ganz unterschiedliche Bindungen bestanden, irgendwie zu verarbeiten. Seiner in einer großen Gemeinschaft von Trauernden zu gedenken kann da sehr hilfreich sein." Nun aber fielen da mit einem Mal ganz entscheidende Elemente seelsorglichen Zuspruchs weg, die mit großer Achtsamkeit aufgefangen werden müssten. Zum Beispiel auch mit nonverbaler Kommunikation, die dem Trauernden signalisiere: Du bist nicht allein.
Wer war der Verstorbene? Wie hat er gelebt? Was war ihm wichtig? Bei jedem Kondolenzbesuch frage er bei den Angehörigen zunächst interessiert nach, um zu begreifen, um wen denn da konkret getrauert werde, damit der Verstorbene dann später bei den Exequien in seiner ganz individuellen Persönlichkeit nochmals für die Trauergemeinde lebendig werden könne. Die Unmittelbarkeit dieses Verlustes in der akuten Trauerphase habe ihm jedenfalls den Toten bei einem ersten Kontakt mit den Hinterbliebenen immer sehr nahe gebracht. "In ihrer gewohnten Umgebung reagieren Trauernde offener und lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Dieser ‚Heimvorteil’ schafft eine ganz wesentliche Atmosphäre und Grundlage für ein tröstendes Seelsorgegespräch." Am Telefon lasse sich ein derart intensives Gespräch nur bedingt führen und sei ja immer auch auf nur einen Teilnehmer begrenzt. Das sei äußerst tragisch, bedauert Seul. "Eine echte Begegnung mit Menschen, die um ihr Liebstes trauern, wie sie uns Seelsorgern am Herzen liegt, ist so nicht möglich. Damit zerstört Corona die Grundlage unserer Pastoral."