DOMRADIO.DE: Was hat sich in den vergangenen Tagen in Ihrem Alltag geändert?
Schwester Katharina Hartleib (Olper Franziskanerinn): Bei uns ist es so, dass ganz viele Angebote, die wir eigentlich machen, Veranstaltungen und Aktionen für Menschen aus der Umgebung, alle ausgefallen sind. Das ist das Augenscheinlichste. Wir hätten beispielsweise Einkehr- und Schweigetage und ähnliches angeboten. Das mussten wir alles absagen. Es ist jetzt komplett neu, plötzlich so viel Zeit zu haben. Das geht, glaube ich, ganz vielen Leuten so – viel Zeit zu haben, die nochmal anders zu füllen ist. Das ist tatsächlich eine Herausforderung, plötzlich zu wissen: Ich kann meinen Tag anders strukturieren und schauen, was mir eigentlich wichtig ist.
DOMRADIO.DE: Wie geht es Ihnen und den Mitschwestern damit?
Schwester Katharina: Ich habe gestern Abend unsere alten Schwestern gefragt, hier im Mutterhaus. Die sagen zum Beispiel, dass es ganz fremd ist, dass das Mutterhaus jetzt so still ist. Hier ist eigentlich immer was los. Es finden Kurse statt und es sind immer Menschen im Haus. Dann sagen sie, dass wir aber auch was tun können: Wir können für alle beten, die jetzt Sorgen haben und in großen Nöten sind. Das Spannende fand ich bei den Schwestern, dass die gesagt haben, dass man beides tun muss.
Auf der einen Seite sollte man im Hier und Jetzt leben. Man soll quasi das tun, was jetzt dran ist. Weiterhin den Haushalt machen, sich um die Kinder kümmern und die Dinge tun, die jetzt dran sind. Auf der anderen Seite sollte man sich vielleicht erinnern: Meine Güte, gerade wir Deutschen haben doch schon so viel geschafft in den letzten Jahrzehnten. Wenn man sich die Nachkriegszeit anschaut, mit den vielen Flüchtlingen, die aus dem Osten kamen, die Zeit der Wirtschaftskrisen, der Ölkrise.
Wir haben schon so viele Dinge gut miteinander geschafft. Das jetzt schaffen wir auch und wir helfen den Leuten damit, indem wir für sie beten. Ich war sehr beeindruckt.
DOMRADIO.DE: Das heißt, die Mitschwestern sind sehr zuversichtlich?
Schwester Katharina: Ich glaube ja. Wenn man weiß, dass man schon ganz viel geschafft hat, dann entsteht eine Hoffnung aus diesem Wissen. Dann gibt es auch noch eine Hoffnung, dass wir schon glauben, dass Krisen uns miteinander noch stärker verbinden. Ich merke zum Beispiel, dass ich mich immer mal erkundige, wie es meinen Brüdern, meinen Nichten und Neffen geht. Das tue ich sonst übers Jahr nicht unbedingt.
Aber jetzt, in dieser Zeit, gucken wir noch intensiver nach unseren Familien, nach unseren anderen Schwestern in den anderen Klöstern. Diese Sorge, Angst und Not, die wir haben, verbinden uns nochmal mehr miteinander. Das sind auch Dinge, die wir tun können. So geht es im Moment vielen Leuten. Sie fragen sich: Was kann ich denn tun? Wenn ich etwas tun kann, ist die Angst wieder ein bisschen kleiner.
DOMRADIO.DE: Wir wissen nicht, wie lange diese Situation andauert. Es könnte helfen zu wissen, wie viele Wochen wir eigentlich noch durchhalten müssen. Auch die Wissenschaftler können nur Vermutungen anstellen. Wie können wir diese Ungewissheit besser verkraften?
Schwester Katharina: Ich glaube, indem wir diese Hoffnung haben. "Wir schaffen das", wie Frau Merkel mal 2015 so schön gesagt hat. Aber auch in dem Wissen, dass wir jetzt Dinge tun können, zu denen wir sonst keine Zeit haben. Unsere alten Schwestern sagen: "Wir haben jetzt mal wieder Briefe geschrieben, wo wir sonst Telefonate führen." Meine Nichte hat erzählt: "Ich wollte schon immer mal Koreanisch lernen. Das habe ich jetzt angefangen."
Eine andere Schwester hat erzählt, dass sie jetzt für die jungen Mädchen aus der Umgebung Angebote macht, die sie ihnen zuschickt, für kreative Dinge zu Ostern. Wir sollten also etwas tun, was uns hilft, unseren Alltag zu leben, aber auch etwas tun, wozu wir sonst weder Zeit noch Lust haben. Die Tage sollten strukturiert werden und man darf die Hoffnung nicht aufgeben.
DOMRADIO.DE: Was können wir jeder für sich zu Hause tun, damit wir den Mut nicht verlieren? Also auch mal abtauchen in andere Dinge?
Schwester Katharina: Ganz genau. Ich würde es jetzt nicht Abtauchen nennen, aber sich mal an Dinge heranwagen, wozu man sonst weder Zeit noch die Gelegenheit hat. Man kann es nicht ändern und nimmt es jetzt so, wie es ist, und macht was daraus.
DOMRADIO.DE: Haben Sie schon für sich einen neuen Alltagsrhythmus gefunden?
Schwester Katharina: Wir sind ja im Ordensleben sehr strukturiert. Wir haben weiterhin unsere gemeinsamen Gebetszeiten. Es ist neu, dass wir nicht jeden Tag gemeinsam Eucharistie feiern können in der Kirche. Die alten Schwestern machen das so, dass sie das im Fernsehen gucken. Außerdem ist es neu, dass wir im Moment Mundschutzmasken für unsere Altenheime nähen. Wir haben die Debatte verfolgt, dass das im Moment schwierig ist.
Da wir ja gerne kreativ sind, nähen wir jetzt jeden Abend ein bis zwei Stunden und produzieren diese Masken für andere. Es gibt generell eine unglaubliche Welle an Hilfsbereitschaft, die mit diesen kleinen Dingen anfängt: Mal der Nachbarin Blumen bringen oder beim Einkaufen helfen oder Leute anrufen, die man so sonst nicht mehr sieht. Sich für andere engagieren, bringt einen immer ein bisschen weg von dem Kreisen um sich selber.
Das Interview führte Dagmar Peters.