Zusammenhalten ist angesagt. Solidarität in Zeiten der Corona-Krise. Gerade zum Schutz von Alten und chronisch Kranken. Doch wie geht man mit Bürgern um, die sich nicht an das strenge Corona-Kontaktverbot halten?
Mancherorts fühlen sich Bürger bemüßigt, Corona-Regelbrecher an Polizei oder Ordnungsamt zu melden. Und mancherorts rufen Politiker auch offen dazu auf. Aber wo ist die Grenze zwischen sozialem Verhalten und Denunziantentum? In einem Land, in dem Blockwarte sowie Spitzel von Gestapo und Stasi für Angst und Terror sorgten, ist das ein sensibles Thema.
Meldungen an Ordnungsbehörden
Nachrichten wie diese sind keine Ausnahme: "Immer häufiger melden Bürger in Essen den Ordnungsbehörden Mitbürger, die sich tatsächlich oder vermeintlich nicht an das Corona-Kontaktverbot halten", berichtete am Montag die WAZ.
"Der Ordnungs- und Sicherheitsdienst ist in dieser Woche rund 120 Hinweisen aus der Bevölkerung auf Verstöße gegen das Kontaktverbot nachgegangen. Jeder vierte Anruf von Bürgern fällt in die Kategorie Denunziation", hieß es in der "Rheinischen Post" mit Blick auf die Stadt Grevenbroich.
Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) rief kürzlich in der "Bild" ausdrücklich dazu auf, Bürger, die sich nicht an die Anti-Coronamaßnahmen halten, der Polizei zu melden. "Ich finde es in Ordnung, wenn die Menschen wachsam sind. Es geht darum, die Ausbreitung der Seuche zu verlangsam und Menschen zu schützen. Und am Ende des Tags geht es ganz konkret darum, Menschenleben zu retten", sagte er.
"Wenn es Uneinsichtige gibt, die vorsätzlich oder fahrlässig dagegen verstoßen, müssen unsere Sicherheitsbehörden das wissen, damit sie das unterbinden können. Und deswegen sind aufmerksame Bürger mir eigentlich auch ganz liebe Bürger."
Aufruf zum Denunziantentum?
In Bonn lösten ähnliche Aussagen von Stadtdirektor Wolfgang Fuchs (CDU) eine heftige politische Debatte und eine Leserbriefflut aus.
Fuchs hatte die Bonner ermuntert, Verstöße gegen Corona-Auflagen der Stadt telefonisch zu melden. "Niemand soll sich scheuen, uns anzurufen, denn es geht um die Gesundheit."
Bonns Oberbürgermeister Ashok-Alexander Sridharan (CDU) reagierte schmallippig. "Ich persönlich möchte und werde nicht dazu aufrufen, andere zu beobachten und Verstöße zu melden", distanzierte er sich im "General-Anzeiger". Auch Bonner SPD-Vertreter stellten sich hinter die hohen Strafen für Corona-Ignoranten, warnten aber "vor einer Kultur des Misstrauens".
Die FDP erklärte, notwendig seien Hilfsbereitschaft, Rücksicht und Menschlichkeit. Es sei aber völlig überzogen, die Bevölkerung aufzufordern, Verstöße aktiv zu melden.
Stellungnahmen in den Sozialen Medien und den Leserbriefspalten der Lokalzeitung waren deutlicher. Der Stadtdirektor lade quasi zum Denunziantentum ein, hieß es. Von einem Rückfall in autoritäre Strukturen war die Rede. "Was für eine Schande." Und: "In so einer Stadt, in so einem Land möchte ich nicht leben. Wo sind wir hingekommen?"
Andere sprechen von Zivilcourage
Doch manch einer ist auch komplett anderer Meinung. Vergehen müssten in einem Rechtsstaat verfolgt werden, pochten Bürger auf eine konsequente Strafverfolgung. Andere empörten sich über Vergleiche mit Stasi oder Gestapo: Wer die gegenwärtige Situation mit den Unrechtsregimen der deutschen Geschichte vergleiche, sei verrückt.
Der ein oder andere Leserbriefschreiber sprach auch von Zivilcourage. "Zum Denunziantentum gibt es einen Gegenpol, das Wegschauen, entweder feige oder ignorant", hält einer fest. Und ein anderer Bürger räumte ein, er traue sich aus Angst vor gewalttätigen Reaktionen nicht, selber einzuschreiten. Da rufe er doch lieber die Polizei.
Abgeklärt reagierte NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) auf das Thema. Es sei gut, wenn die Menschen aufmerksam seien, sagte er vergangene Woche der "Bild". "Ich will aber auch kein Denunziantentum. Manchmal wirkt ein freundlicher Hinweis unter Nachbarn vielleicht auch mehr als eine Strafanzeige bei der Polizei."