Jesuit Mertes: Alte und Kranke auch in Zeiten von Corona besuchen

"Wehrlose einzuschränken hat nichts mit Solidarität zu tun"

Jesuitenpater Klaus Mertes wirbt für mehr Selbstbestimmungsrecht in Zeiten der Corona-Krise. Er befürchtet, dass die gegenwärtige Situation zu "massiven gesellschaftlichen Konflikten führen" könne, da derzeit die Schutzlogik alles überlagere.

Alte und Kranke können derzeit kaum Beistand bekommen (shutterstock)
Alte und Kranke können derzeit kaum Beistand bekommen / ( shutterstock )

​Dürfen Alte, Kranke und Sterbende in Zeiten der Corona-Pandemie Familie und Freunde sehen? Jesuitenpater Klaus Mertes plädiert in der "Zeit" (Donnerstag) dafür, das Selbstbestimmungsrecht der Einzelnen zu respektieren. "Es ist ein fundamentales Recht jedes Menschen, in der Not Beistand zu bekommen, selbst wenn sich für ihn ein Infektionsrisiko ergibt."

"Bedenkliche gesellschaftliche Stimmung​"

Für ihn sei das Hauptproblem, dass eine Schutzlogik derzeit alle anderen Anliegen überlagere, sagte der Leiter der Jesuitenschule St. Blasien im Schwarzwald. Die derzeitige Ausnahmesituation könne zudem zu einem gefährlichen Dauerzustand werden. "Wir sind schon jetzt an einem Punkt, der unser Rechtsverständnis hart tangiert. Ich erlebe, dass sich viele Menschen in ihren Grundrechten verletzt fühlen. Das kann bald zu massiven gesellschaftlichen Konflikten führen."

Ihm gehe es darum, "dass jetzt eine bedenkliche gesellschaftliche Stimmung herrscht, in der das Selbstbestimmungsrecht der Schwächsten nichts mehr gilt", so Mertes. "Wehrlose einzuschränken hat nichts mit Solidarität zu tun. Ich bezweifle auch, dass es dabei immer um den Schutz der Alten und Kranken geht. Genauso geht es um den Selbstschutz der Jungen und Gesunden", kritisierte der Jesuit. "Es herrscht eine irrsinnige Angst vor der eigenen Verletzbarkeit. Wir haben kein vernünftiges Verhältnis zu unserer Sterblichkeit."

Theologe Dabrock hält zeitweilige Beschränkungen für vertretbar 

Mertes äußerte sich in einem Streitgespräch mit dem Theologen Peter Dabrock. Der Vorsitzender des Deutschen Ethikrats, sagte, er halte eine zeitweilige Beschränkungen des Rechts auf Selbstbestimmung für vertretbar. "Es wird nicht grundsätzlich verwirkt, sondern vorübergehend eingeschränkt. Das ist mitnichten eine Kleinigkeit - aber ein entscheidender Unterschied."

Aus ethischer Sicht müsse man eine Güterabwägung treffen, so Dabrock. "Natürlich verlieren betreute Menschen ihren Anspruch auf Selbstbestimmung nicht. Aber wenn die akute Gefahr besteht, dass Besucher das Virus in die Einrichtung tragen, sodass die Einrichtung ihren Betrieb schließen müsste, weil es dort vermehrt zu Todesfällen kommt: dann ist im Sinne des Schutzes von Leib und Leben für eine gewisse Zeit eine Einschränkung der Selbstbestimmung möglich und auch richtig." Zugleich betonte der Theologe: "Beschränkungen auf unbestimmte Zeit halte ich für ethisch und politisch untragbar."

Dabrock hält es für die derzeit wichtigste Aufgabe, die Infektionskurve flach zu halten. "Denn nur so werden wir unser Gesundheitssystem, das ja auch für viele Menschen, über die wir hier sprechen, eine lebenswichtige Funktion erfüllt, leistungsfähig halten."


Pater Klaus Mertes / © Julian Stratenschulte (dpa)
Pater Klaus Mertes / © Julian Stratenschulte ( dpa )

Ethik-Professor Peter Dabrock  / © Uwe Zucchi (dpa)
Ethik-Professor Peter Dabrock / © Uwe Zucchi ( dpa )
Quelle:
KNA