Wenn die Tochter in peruanischer Corona-Quarantäne sitzt

Abwarten und Mate trinken

KNA-Mitarbeiter schreiben in Zeiten der Corona-Krise an die Zentrale: Persönliches und Politisches, Trauriges und Tröstliches. Heute: eine E-Mail mit Blick von Bonn nach Peru.

Autor/in:
Sabine Kleyboldt
Symbolbild Mate / © RHJPhtotoandilustration (shutterstock)
Symbolbild Mate / © RHJPhtotoandilustration ( shutterstock )

Mit einem "Pling" meldet der Messenger-Dienst eine Nachricht: "Neue Mail!!!", schreibt meine Tochter. So viele Ausrufezeichen macht sie sonst selten. Und das um 3.44 Uhr - deutscher Zeit. Denn sie ist gerade in Peru. Und mein Handy bleibt jetzt auch nachts an. Seit Corona.

"Liebe Landsleute", beginnt die weitergeleitete Nachricht. So spricht der Deutsche Botschafter in Peru die Touristen, Freiwilligen und anderen Expats an, die derzeit in dem Andenstaat festsitzen. "Wir beginnen heute mit der Rückführung der Deutschen aus den südlichen Departements." Mein Herz klopft. Hat die peruanische Regierung eingelenkt? Sind nun die Rückholflüge endlich genehmigt? Waren die wochenlangen diplomatischen Verrenkungen der Bundesregierung erfolgreich?

Sinnvolles tun in Peru

Doch der Reihe nach: Meine 18-jährige Tochter brach Mitte September voller Tatendrang nach Peru auf. Ihr Abitur in der Tasche, wollte sie ein unbekanntes Stück Welt kennenlernen und dabei etwas Sinnvolles tun: als Hilfslehrerin in der Partnerschule ihres Bonner Gymnasiums. Die ersten Monate liefen wunderbar. Freundliche Kollegen, offene, staunende Kinder, ("Du hast ja blaue Augen!"), eine nette Gastfamilie. Die Sommerferien nach Weihnachten (!) nutzte sie dazu, das Land zu erkunden: Cusco, Machu Picchu, Lima, Vulkane, Wasserfälle, Oasen, Naturreservate, Strand und Meer... Doch dann Mitte März, statt Schulbeginn: das Land im Corona-Modus.

Nein, sie wolle nicht vorzeitig nach Hause, sondern wie geplant bis Ende Mai bleiben, erklärt meine Tochter am 13. März. Ich bin zunächst einverstanden. Doch als Außenminister Heiko Maas am 17. März ankündigt, die Bundesregierung werde 50 Millionen Euro bereit stellen, um die rund 200.000 deutschen Gestrandeten weltweit per "Luftbrücke" zurückzuholen, wissen wir: Es ist ernst.

Quarantäne in Peru

Perus Präsident Martin Vizcarra verfügt nach und nach eine Quarantäne, verbietet sämtliche Flüge von und nach Peru und verhängt eine nächtliche Ausgangssperre samt drakonischer Kontrollmaßnahmen durch das Militär. Inzwischen befänden sich Tausende wegen Verstößen in Haft, hört man. Da Peru die Grenzen geschlossen hat, ist an eine reguläre Ausreise nicht zu denken. Mehr noch: Wer sich nicht in der Nähe von Perus einzigem internationalen Flughafen in Lima aufhält, sitzt auch innerhalb des Landes fest - das viermal so groß ist wie Deutschland.

In dieser Situation melden sich die Deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt zu Wort. Wer zurückwolle, müsse sich dringendst in der sogenannten "Elefand"-Liste registrieren, die Elektronische Erfassung von Deutschen im Ausland, damit ihn die Behörden "auf dem Schirm" haben.

Diese Registrierung wollen am 17. März wohl Tausende gleichzeitig nachholen: "Ich kriege andauernd Fehlermeldungen!", schreibt meine Tochter entnervt. Eine Nachfrage beim Außenministerium ergibt: Ja, die Seite ist zusammengebrochen, man arbeite an einer technischen Lösung. Dann, irgendwann - wieder zu nachtschlafender Zeit - die Nachricht aus Peru: "Bin registriert." Nun heißt es abwarten.

Rückführungsmaßnahmen stocken

"160.000 Deutsche inzwischen zurück", lässt das Auswärtige Amt am Wochenende wissen. Von den rund 4.500 Deutschen in Peru konnten etwa 600 in zwei Flügen aus Lima heimkehren. Seither stockt es. Offenbar wird auf höchster diplomatischer Ebene verhandelt. Sämtliche EU-Botschafter appellieren gemeinsam an die Regierung in Lima, zu kooperieren und die Menschen ausreisen zu lassen. Woran genau es hakt, darüber gibt es nur Mutmaßungen. Geldforderungen und eitles Gebaren einer von Korruption geprägten Regierung, meinen manche. Umsichtiges bis übervorsichtiges Handeln zum Schutz der Bevölkerung die anderen.

Alles Spekulation. Viel wichtiger für mich: Meine Tochter ist unterdessen in Sicherheit, anders als manche Rucksacktouristen im fernsten Winkel des Dschungels, von denen wir auf Umwegen Nachricht erhalten. Sie befindet sich mit ihrer Gastfamilie zusammen in dem zum Glück großen Haus.

Gemeinsames Puzzeln

Mehr noch: Während ihre Gastgeber vorher nur zu Arbeit und Studium hasteten und sich gelegentlich irritiert zeigten, dass die junge Deutsche oft bis halb acht morgens im Bett liege, schalten jetzt alle plötzlich in Stand-by-Modus: Lesen, Fernsehen, spät und ausgiebig frühstücken, plaudern... Und die sonst so toughe Gastmutter, eine Architektin, nimmt sich plötzlich Zeit für ihr Hobby. Gemeinsam mit ihrer Gasttochter macht sie Puzzles. "Die großen Sehenswürdigkeiten der Welt"; je mehr Teile, desto lieber.

Die Oma kocht jeden Tag einen Zwiebeltrunk, angereichert mit Zitrone und Honig - "damit wir uns nicht anstecken. Schmeckt scheußlich", schreibt meine Tochter - und trinkt es doch tapfer. "Abwarten und Mate trinken" lautet nun ihr südamerikanisch angepasstes Motto. Mir bleibt nur, möglichst nicht zu viel Kaffee zu konsumieren. Und mein Handy auch nachts auf "laut" zu haben. Vielleicht kommt dann endlich die Nachricht "Ich fliege nach Hause!"


Quelle:
KNA
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