Coronavirus in Südafrika: Eine Belastungsprobe

"Eine Gemengelage von Ambivalenzen"

Die Ausgangssperren in Südafrika gelten als die strengsten weltweit. Dennoch halten sich viele Menschen nicht daran – besonders in den Townships. Die Enge sei bedrückend und lasse den Menschen kaum eine Chance, so der deutsche Pfarrer Stefan Hippler.

Johannesburg: Südafrikanische Gemeinde-Aktivisten fordern die Menschen auf, in ihren Häusern zu bleiben / © Jerome Delay (dpa)
Johannesburg: Südafrikanische Gemeinde-Aktivisten fordern die Menschen auf, in ihren Häusern zu bleiben / © Jerome Delay ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie empfinden Sie die derzeitige Situation in Südafrika in Bezug auf Corona?

Pfarrer Stefan Hippler (Pfarrer der deutschsprachigen römisch-katholischen Gemeinde in Kapstadt und Vorsitzender des Non-Profit-Projektes HOPE Cape Town): Die Situation ist auf der einen Seite sehr still. Wir haben seit geraumer Zeit einen kompletten Lockdown, das heißt, bis zum 16. April darf nur auf der Straße, wer etwas Besonderes tun muss oder einkaufen gehen will. Aber ansonsten sind alle Geschäfte und Restaurants geschlossen. Der Präsident hat dazu aufgerufen, dass jeder zu Hause bleibt und einfach drei Wochen möglichst alle Kontakte nicht wahrnimmt. Das ist natürlich in den Townships sehr schwierig.

DOMRADIO.DE: Was brauchen die Menschen in den Townships am nötigsten und vor allen Dingen, wie können sie an die Dinge herankommen?

Hippler: Das Essen ist ein Riesenproblem, die meisten Menschen sind ja Tagelöhner oder arbeiten auf Wochenlohn. Das heißt, dadurch, dass jeder zu Hause oder in seiner Hütte bleiben muss, gibt es kein Einkommen. Es gibt im Prinzip also kein Essen und eigentlich auch keine frische Luft. Sie können sich vorstellen, wenn man zwölf Quadratmeter hat und mit zehn Leuten zusammen darin sitzt, nicht vor die Tür darf: das ist äußerst schwierig. Es ist im Prinzip auch die Enge, die so bedrückend ist und den Leuten kaum eine Chance lässt.

DOMRADIO.DE: Wie sind die Temperaturen? Gibt es eine große Hitze?

Hippler: Nein, wir hatten Glück. Die letzten Tage sind etwas kühler geworden, es soll jetzt wieder wärmer und heißer werden. Wir sind jetzt im Spätsommer und gehen in den Herbst hinein. Von daher ist das eigentlich noch ganz okay gewesen in den letzten Tagen.

DOMRADIO.DE: Sie sind Vorsitzender des internationalen Aids-Projekts "HOPE Cape Town". Sie kümmern sich auch um HIV-infizierte Menschen und deren Familien. Die HIV-Infizierten gehören zur Risikogruppe, werden sie besonders geschützt? 

Hippler: Nein, sie werden nicht besonders geschützt, sondern hier wird momentan alles über einen Kamm geschoren. Wobei das sehr interessant ist: Wir haben einmal sehr viele HIV-Positive und Aids-Kranke. Wir haben aber auch sehr viele Tuberkulose-Patienten. Da ist ein Riesenunterschied.

In Südafrika sagt man, diejenigen, die auf Medikamente gut eingestellt und unter der Nachweisgrenze sind, sind wahrscheinlich sogar etwas besser geschützt als die normalen Menschen, weil sie antiretrovirale Medikamente nehmen. Die Tuberkulose-Kranken sind sicher dennoch diejenigen, die am meisten in Not sind, weil Covid-19 auf die Lunge geht.

DOMRADIO.DE: In welcher Verfassung sind die Menschen, sind sie ängstlich?

Hippler: Wir haben ganz unterschiedliche Situationen in Townships. Wir arbeiten ja in den Townships, unsere Ärzte und unsere Gesundheitsarbeiter sind vor Ort, jeden Tag. Es gibt Menschen, die es einfach ganz ruhig hinnehmen. Es gibt aber auch Menschen, die es nicht ruhig hinnehmen, die sozusagen rausgehen und Polizei und Militär herausfordern. Sie sagen, das können und wollen sie nicht ertragen.

Es gibt auch die Mär, dass gesagt wird, Corona ist eigentlich "die weiße Krankheit". Sie kommt aus Europa und aus China, wir Afrikaner haben damit eigentlich gar nichts zu tun. Es gibt eine Gemengelage von Ambivalenzen. Polizei und Militär versuchen, Ruhe zu halten. Wir versuchen, über Ernährung ein bisschen zu helfen und teilen jeden Tag über tausende Mahlzeiten aus.

DOMRADIO.DE: Wie gut halten sich die Menschen generell an die Regeln des Staates?

Hippler: Das ist ganz unterschiedlich. Die weißen Gebiete sind sehr ruhig, da hält sich fast jeder daran. In den schwarzen Gebieten ist es auch geteilt. Es gibt Townships, die sehr einsichtig sind, wo es auch Komitees gibt, die das alles organisieren. Aber es gibt auch – speziell in der Nähe von Johannesburg – Townships, wo es einfach ganz normal weitergeht und die Menschen sich weigern, zu Hause zu bleiben. Das Militär und die Polizei sind ein Stück weit hilflos.

DOMRADIO.DE: Wie ist die Situation der Krankenhäuser in Südafrika? Wie sind sie aufgestellt für den Fall des Hochschnellens der Infizierten-Zahlen?

Hippler: Wir haben Krankenhäuser, die sehr gut aufgestellt sind und Krankenhäuser, die noch ein bisschen Nachholbedarf haben. Wie vermutlich in Deutschland auch, es fehlen Schutzkleidung, Handschuhe, Atemmasken und all diese Geschichten. Das heißt, wir hoffen, dass weniger Menschen in intensive Pflege kommen müssen. Momentan geht es zahlenmäßig wirklich noch gut.

Wir haben 1749 Infizierte offiziell in Südafrika und erst 13 Tote. Von daher sind wir noch am Anfang der Pandemie und müssen schauen, wie es weitergeht. Gestern gab es beispielsweise die ersten beiden Kinder, die mit Corona infiziert sind. 

Das Interview führte Dagmar Peters.


Stefan Hippler, Pfarrer in Kapstadt / © Silvia Ochlast (DR)
Stefan Hippler, Pfarrer in Kapstadt / © Silvia Ochlast ( DR )
Quelle:
DR