Ausgehungerte Menschen in zerlumpter Kleidung und nackte Leichen, die aufgetürmt auf der Erde herumliegen. Die Bilder aus dem am 15. April 1945 befreiten Bergen-Belsen gingen um die Welt und wurden zum Symbol für die Gräueltaten der Nationalsozialisten. Das Konzentrationslager bei Celle in Niedersachsen war das einzige, das von britischen Truppen befreit und eines der wenigen, das nicht zuvor von der SS geräumt wurde.
Lager für französische und belgische Kriegsgefangene
In einem einmaligen Vorgang hatten die Engländer mit der Wehrmacht ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt. SS-Reichsführer Heinrich Himmler hatte einer kampflosen Übergabe zugestimmt. Was ihn dazu bewog, ist unklar - möglicherweise die im Lager grassierende Fleckfieberepidemie, die eine Evakuierung wohl kaum zugelassen hätte.
Als die britischen Truppen in Bergen-Belsen eintrafen, stießen sie auf völlig entkräftete, todkranke Insassen. Der erhoffte Jubel angesichts der Befreiung blieb aus. "Wir hatten so lange von Dreck und Tod umgeben gelebt, dass wir es kaum noch merkten", sagt die Überlebende Anita Lasker-Wallfisch. Erst wenige Tage vor der Befreiung hatte sie mit ihrer Schwester Verstorbene quer durchs Lager in ein Massengrab zerren müssen.
Bergen-Belsen diente nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zunächst als Lager für französische und belgische, und später auch sowjetische Kriegsgefangene. Seit 1943 war das Lager in der Lüneburger Heide ein KZ für Juden aus ganz Europa. Im Herbst 1944 wurden zahllose Frauen aus Auschwitz-Birkenau und anderen Vernichtungslagern im Osten dorther gebracht. Unter ihnen war Anne Frank, die 1945 an Typhus starb. In Bergen-Belsen gab es keine Gaskammern, die Menschen kamen durch Hunger und Seuchen um.
Mindestens 52.000 Tote
Im Januar 1945 wurden 1.000 Tote gezählt, im Februar schon 7.000 im März dann weitere 18.000. Das Krematorium reichte nicht aus, um alle Leichen zu verbrennen. Am Tag der Befreiung drängten sich über 50.000 Häftlinge auf dem Gelände. Die Leichen wurden in Massengräbern bestattet, die Überlebenden in die nahe gelegenen Wehrmachtskasernen gebracht. Dort starben noch rund 14.000 Insassen an den Folgen der Haft. Insgesamt kamen im KZ Bergen-Belsen nach heutigen Erkenntnissen mindestens 52.000 Menschen ums Leben.
Fünf Monate nach der Befreiung wurde 45 Angehörigen der Lagermannschaft der Prozess gemacht. Sie mussten sich ab dem 17. September vor einem britischen Militärgericht in Lüneburg verantworten. Der Belsen-Prozess endete mit elf Todesurteilen - unter anderem für Lagerkommandant Josef Kramer.
Bekanntestes Opfer: Anne Frank
Das ehemalige Lagergelände, auf dem Häftlinge schon einen Tag nach der Befreiung ein Kreuz aus Birkenholz errichtet hatten, wurde von 1945 bis 1950 als Aufenthaltsort für sogenannte Displaced Persons (DP) benutzt. Heute erinnert eine Gedenkstätte an das Leid der Häftlinge. Viele Besucher kommen vor allem wegen des wohl prominentesten Opfers Anne Frank.
Gedenkstätten-Leiter Jens-Christian Wagner versucht jedoch bewusst, den Blick auch auf andere Biografien zu lenken. "Ganz wichtig ist mir, dass wir neben der Erinnerung an die jüdischen Opfer des KZ Bergen-Belsen, die etwa die Hälfte der Toten hier waren, insbesondere auch die politischen Häftlinge nicht aus dem Blick verlieren", betont er. Kaum jemand wisse, dass viele Abgeordnete des ehemaligen Reichstags der Weimarer Republik in Bergen-Belsen interniert gewesen seien.
Um den 15. April finden in Bergen-Belsen alljährlich Gedenkveranstaltungen statt, an denen auch Überlebende teilnehmen. Für viele von ihnen ist das Datum der Befreiung eine Art zweiter Geburtstag. Zum Jubiläum in diesem Jahr war eine besondere Feier mit mehreren Tausend Gästen und 120 Überlebenden geplant, die aufgrund der Corona-Krise abgesagt werden musste. Sie soll im nächsten Jahr nachgeholt werden.
Dass naturgemäß immer mehr Zeitzeugen sterben, bereitet Jens-Christian Wagner Sorge, weil damit auch eine Art moralischer und politischer Schutzschirm für die Gedenkstätten wegfällt. "Immer dann, wenn es Angriffe auf die Erinnerungskultur gab, haben sich maßgebliche Überlebende zu Wort gemeldet. Das hat uns häufig geholfen."