Pfarrer Meurer über Herausforderungen in der Corona-Krise

"Wir leben zurzeit im Karsamstag"

Die kirchliche Arbeit ist in der Corona-Krise besonders wichtig – gerade, wenn es darum geht, armen Menschen zu helfen. Pfarrer Franz Meurer erzählt im Interview, worauf es seiner Meinung nach in der momentanen Situation besonders ankommt.

Pfarrer Franz Meurer / © Harald Oppitz (KNA)
Pfarrer Franz Meurer / © Harald Oppitz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wenn die Schulen jetzt vielerorts bis zum 4. Mai geschlossen bleiben, was bedeutet das schlimmstenfalls für die Kinder in Ihrem Stadtteil?

Pfarrer Franz Meurer (Pfarrer der Kirchengemeinde Höhenberg und Vingst): Für die Kinder bedeutet das, dass sie sich ohne Schule erfreuen sollen und müssen. Wir machen natürlich sehr viel. Zum Beispiel hätten wir eine Osterfahrt gehabt – bei uns ist ja alles ökumenisch, wenn möglich – aber eine Osterfahrt ging aktuell nicht. Stattdessen haben aber die Leiterinnen und Leiter vier mal einen halbstündigen Live-Film gesendet, wo sie dann eine Europa-Reise veranstaltet haben. Ich habe natürlich schon zweimal den Erstkommunionkindern ein dickes Paket geschickt, einmal mit sechszehn Sachen, einmal mit zwölf Sachen darin.

Unser Kantor hat einen Bastelbogen unserer Kirche, den es zwar schon länger gibt, aber er hat den auf den Din A4 gemacht, sodass man ihn dann Din A2 auf Din A4 zusammenfalten kann. Soeben ist der Bogen für die evangelische Kirche fertig geworden. Der wird morgen verschickt, weil wir noch auf Spiele warten, die kommen. Wir haben auch das Thema der Kommunionkinder der letzten drei Jahre jeweils aufgegriffen. Die haben auch ein Päckchen gekriegt, um nur ein paar Dinge zu nennen.

Aber, ich muss es mal auf den Punkt bringen: Die Gemeinschaft, die Communio, die ist eigentlich viel größer als zu normalen Zeiten. Das Telefon steht nicht still. Wir haben extra eine Hotline, um zu beraten. Das macht bei pädagogischen Fragen zum Beispiel eine erfahrene Mutter.

Wir schicken auch jede Woche 900 Briefe an ältere Menschen. Am Freitag kommen zum Beispiel dann 300 Tulpen, die dann an Senioren verteilt werden. Wir haben nach einer Idee vom Pfarrgemeinderat am vorigen Samstag auch schon 350 Tütchen verteilt. Die Leute haben teilweise geheult am Telefon. Und wir machen viele Sachen mehr – wir haben auch schon über tausend Mundschutz-Masken verteilt.

Das heißt, wir machen eigentlich das weiter, was wir immer schon gemacht haben: Zusammenhalt, Solidarität – nur jetzt ein bisschen intensiver. Und unser ehemaliger Kardinal hat ja gesagt: Liturgie ohne Diakonie ist Götzendienst. Also haben wir doch im Moment eine super Chance, die Stärke der Gemeinde auch ökumenisch auszuspielen, nämlich Zusammenhalt.

DOMRADIO.DE: Es sind also ganz viele positive Erfahrungen, die Sie da machen. Sie sind mit unzähligen Projekten unterwegs. Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen trotz allem ganz gut mit der Situation zurecht kommen?

Meurer: Ich habe das Gefühl, dass es darauf ankommt, zusammenzuhalten. Um es mal ein bisschen ästhetischer zu sagen: Die Erfüllung des Raumes ist die Leere, die Erfüllung der Zeit ist die Stille und die Erfüllung von Genuss ist Fasten. Das heißt, wir leben zurzeit im Karsamstag. Das heißt, wir müssen aushalten, dass wir im Moment nicht genau wissen: Was ist denn jetzt? Ist er auferstanden, hinabgestiegen in das Reich des Todes, ist Licht am Ende des Tunnels? Das heißt, das versuchen wir zu vermitteln, um es auf den Punkt zu bringen.

Es geht nicht um Aktionismus, sondern es ist eine spirituelle, eine geistliche Chance jetzt zusammenzustehen. Hilde Domin hat gesagt: Wir essen das Brot, aber wir leben vom Glanz. Das heißt, wir haben natürlich auch Osterkerzen verteilt mit allen wichtigen Vorkehrungen, dass keiner den anderen ansteckt – ist ja klar.

DOMRADIO.DE: Was für Schattenseiten erleben Sie in der gegenwärtigen Situation? Gibt es die auch?

Meurer: Die Schattenseiten erleben die armen Menschen. Das heißt, zum Glück unterstützen mich Menschen. Ich muss relativ viel Geld ausgeben. Wir haben zum Glück nur eine Woche die Lebensmittelausgabe schließen müssen. Jetzt ist der 1. FC da, also jüngere Leute, und hilft da mit. Das ist unglaublich wichtig. Uns unterstützt auch die Aktion "der Sack", das heißt, ich kann auch spontan helfen.

Gestern kam noch um viertel vor zehn Abends eine alleinerziehende Mutter, die völlig aufgelöst war und dringend Unterstützung brauchte. Das ist ja überhaupt gar keine Frage, da zu helfen. Ich finde es auch total wichtig, wenn ich mal so sagen darf, dass wir ansprechbar sind. Am Telefon bin ich 24 Stunden da, und wer ein Problem hat oder was wissen will, der wird angehört.

DOMRADIO.DE: Wie ist denn generell Ihre Haltung zu den Entscheidungen von Bundesregierung und Landesregierung zu den Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Halten Sie das für vernünftig?

Meurer: Ich sage immer: Schuster, bleib bei deinen Leisten. Ich bin kein Virologe. Ich bin auch kein Mathematiker. Ich bin Pastor, und ein Pastor hat sich an das zu halten, was gerechtigkeitsmäßig der Staat bringt. Unser Ding ist Barmherzigkeit, das ist etwas völlig anderes. Und auf der Basis von allem, das ist unsere Botschaft als Kirche, geht es um Solidarität – wir halten zusammen.

Ich sage Ihnen ganz offen: Persönlich bin ich froh, dass nicht geöffnet wird. Ich bin kein Virologe, aber ich sage nach allem, was ich so mitkriege, ist es ganz gefährlich, zu früh mit den Maßnahmen aufzuhören. Aber das ist nur meine persönliche Meinung.

Das Interview führte Julia Reck.


Quelle:
DR
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