Die Wallfahrts- und Pilgersaison 2020 ist gelaufen, bevor sie richtig angefangen hat. In den beiden bedeutendsten Wallfahrtsorten in Deutschland - im bayerischen Altötting und im niederrheinischen Kevelaer - werden derzeit keine Pilgergruppen empfangen.
Die größte Fußwallfahrt der Republik ins münsterländische Telgte ist vorerst abgesagt. Vielerorts warten die Verantwortlichen auf Entscheidungen der Politik und versuchen, die Zeit mit Online-Angeboten zu überbrücken.
Aktuell wäre Trost wichtig
Dabei entfallen die Wallfahrten und Pilgerreisen ausgerechnet wegen eines Virus. In den Seuchen- und Krisenzeiten des Mittelalters erfuhren diese Formate besonders hohen Zulauf. "Man wollte Gottes Zorn besänftigen, den man mit solchen Seuchen über sich gekommen sah", erklärt Kirchenhistoriker Joachim Oepen dem katholischen Kölner Internetportal domradio.de. Ziel vieler Marienwallfahrten ist nicht umsonst ein sogenanntes Gnadenbild, wo die Menschen traditionell den Zuspruch der Gottesmutter erbitten.
Noch heute pilgern pro Jahr etwa eine Million Menschen zur "Schwarzen Madonna" nach Altötting, rund 800.000 zur "Trösterin der Betrübten" nach Kevelaer und mehr als 100.000 zur "Schmerzhaften Muttergottes" nach Telgte. Gerade in der aktuellen Lage wäre geistlicher Trost wichtig, findet der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing. "Ich weiß von vielen Menschen, die sich in dieser Zeit ganz besonders der Fürsprache der Mutter Gottes anvertrauen", erklärt er in einer Mitteilung des Bistums Münster.
Kommen mehr Online-Übertragungen?
Am 1. Mai wird Bätzing die Wallfahrtssaison in Kevelaer mit einem Gottesdienst ohne Gemeinde, dafür mit Online-Stream eröffnen.
Überhaupt gibt es seit Beginn der Krise täglich Gottesdienste aus Kevelaer und Altötting im Internet zu sehen. Einen europaweiten Überblick gibt die EU-Bischofskommission COMECE. Sie verantwortet eine Plattform mit Live-Streams zu 28 Wallfahrtsorten in Europa, darunter Altötting und Kevelaer sowie Fatima in Portugal und Lourdes in Frankreich.
Online-Übertragungen kann sich auch Wallfahrtsrektor Michael Langenfeld aus Telgte vorstellen. "Allerdings lässt sich das bei Wallfahrten so wichtige Gefühl, am Ziel angekommen zu sein, in den digitalen Medien wohl kaum vermitteln", erklärt der Propst auf Anfrage. Allein Anfang Juli laufen traditionell rund 10.000 Menschen aus dem Osnabrücker Land knapp 50 Kilometer zur "Schmerzhaften Muttergottes" nach Telgte - die größte Fußwallfahrt Deutschlands.
Im Sommer 2020 wird sie wie weitere größere Gottesdienste in Telgte entfallen. Großveranstaltungen sind bis Ende August untersagt. "Für uns ist das besonders schmerzlich, weil wir in diesem Jahr das 650-jährige Bestehen unseres Gnadenbilds feiern wollten", sagt Langenfeld. Vielleicht könne das Jubiläum im September, einem der Hauptwallfahrtsmonate, nachgeholt werden. Bis dahin ist die Wallfahrtskirche zumindest für Einzelpilger geöffnet.
Hoffen auf Sommer und Herbst
Der Generalsekretär der Wallfahrt in Kevelaer, Rainer Killich, hofft, nach den Sommerferien zumindest kleine Gruppen empfangen zu können.
Zunächst müsse jedoch die Politik Gottesdienste überhaupt wieder zugänglich machen - wenn auch unter strengen Auflagen, so wie es sich derzeit abzeichnet. Erst dann könne über Wallfahrten gesprochen werden. "Das wird wahrscheinlich ein zweiter oder dritter Schritt sein, der deutlich später im Jahr ergriffen wird", so Killich.
Im Bistum Regensburg sind die Verantwortlichen für die traditionsreiche Fußwallfahrt nach Altötting etwas zuversichtlicher.
Sollte sich die Lage bis zum Herbst beruhigt haben, wird sie dann als dreitägige "Dankwallfahrt" stattfinden, erklärt Pilgerführer Bernhard Meiler. In ihrer 190-jährigen Geschichte habe die 111 Kilometer lange Regensburger Fußwallfahrt, bei der heute bis zu 7.000 Menschen mitlaufen, nur einmal nicht wie geplant stattfinden können. 1941 hätten die Nazis die Pilger auseinandergetrieben, drei Gläubige aber hätten den Weg dennoch beendet, so Meiler.
Nichtsdestotrotz: Auch in Altötting werden in diesem Jahr viele Pilgergruppen fehlen. Wallfahrtsrektor Günther Mandl sprach in der "Süddeutschen Zeitung" jüngst von einem "Dilemma, das uns ratlos macht".