Als erste Institution in Deutschland hat die katholische Kirche eine Vereinbarung mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung zur Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch beschlossen. Im Kampf gegen Missbrauch kann die Erklärung zur Blaupause für andere Einrichtungen werden. In der evangelischen Kirche etwa steht eine solche Erklärung noch aus.
Nachdem sich die Bischofskonferenz im März in der Frage der Entschädigung auf ein neues System einigte und Opfern bis zu 50.000 Euro zahlen will, ist sie damit auch bei der Aufarbeitung einen großen Schritt vorangekommen. Die Bistümer müssen nun die Kriterien und Standards umsetzen.
Die gemeinsam mit dem Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig erarbeitete Vereinbarung umfasst acht Seiten.
Hinter dem etwas sperrigen Titel "Gemeinsame Erklärung über verbindliche Kriterien und Standards für eine unabhängige Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche in Deutschland" verbirgt sich nicht weniger als die Verpflichtung der Bischöfe, Missbrauch in ihren Bistümern nach festgelegten und transparenten Regeln aufzuarbeiten.
Unabhängige Kommissionen in allen Bistümern
Im Zentrum stehen dabei unabhängige Kommissionen, die nun in allen Bistümern eingesetzt werden und in denen neben Vertretern des Bistums, Experten aus Wissenschaft, Justiz und Verwaltung auch Betroffene sitzen sollen.
Bis zu der Verabschiedung der Vereinbarung, die am Dienstag in einer Presseerklärung mitgeteilt wurde, war es ein langer Weg: Es brauchte rund ein Jahr intensiver Verhandlungen, bis sie unterschriftsreif war. Gespräche dazu begannen nach der Veröffentlichung der MHG-Studie - der Studie über Missbrauch in der katholischen Kirche - im Jahr 2018. Ende vergangenen Jahres verständigten sich Rörig und Ackermann auf Eckpunkte, um letzte Formulierungen wurde offenbar noch am Montag gerungen.
Die Aufarbeitung soll sich auch mit jenen Fällen befassen, die infolge von Verjährung oder dem Tod der Beteiligten nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden können. Neben der quantitativen Erhebung von Missbrauch soll untersucht werden, wie die Verantwortlichen in den Bistümern mit den Tätern und den Betroffenen umgegangen sind. Auch sollen die Strukturen benannt werden, die sexuellen Missbrauch von Minderjährigen durch Geistliche und Kirchenangestellte ermöglicht oder begünstigt haben.
Es soll weiter eine koordinierte Zusammenarbeit mit anderen Bistümern stattfinden. Eine Geschäftsstelle, die die Deutsche Bischofskonferenz einrichtet und ausstattet, wird dann gemeinsame Termine absprechen und ein Monitoring koordinieren. In fünf Jahren ist dann ein Abschlussbericht geplant.
Zu den verpflichtenden Standards bekennen
Zunächst müssen nun Rörig und Ackermann die Vereinbarung unterzeichnen, dann kann sich jedes der 27 Bistümer zu den verpflichtenden Standards bekennen. Rörig will dazu in den kommenden Wochen Gespräche mit den Bischöfen aufnehmen. Das Erzbistum Freiburg sei bereits auf ihn zugekommen, berichtet Rörig.
Wenn es in Bistümern schon eine umfassende Aufarbeitung gibt - das ist unter anderem in Hildesheim, Köln oder Osnabrück der Fall -, kann der Bischof nach Verständigung mit Rörig eine angepasste Erklärung unterzeichnen, die die bislang geleistete Arbeit berücksichtigt.
In jedem Fall soll auf der Internetseite der Diözesen stehen, dass sich das jeweilige Bistum zu den Standards verpflichtet hat. Einen konkreten Zeitplan für die Umsetzung und die Einsetzung der Kommissionen gibt es allerdings bislang noch nicht.
Ein erster Lackmustest für die Vereinbarung könnte die Aufarbeitung zu den bekannt gewordenen Missbrauchsvorwürfen in der ehemaligen katholischen Jugendeinrichtung Piusheim bei München werden: Bereits vor drei Wochen hatte Rörig den Münchner Kardinal Reinhard Marx aufgefordert, die Chance zu ergreifen und ein "starkes Signal pro Aufarbeitung zu senden". Ein solcher Schritt - so meinte Rörig sicher auch zu dem Zeitpunkt mit Blick auf die anstehende Vereinbarung - würde auch die Ernsthaftigkeit der bisherigen Aufarbeitungsbemühungen unterstreichen.