Seit kurz vor 8 sitzt Hilla Peters vor der Kirchentür. Mit Regenschirm und Plastikhocker. Nicht nur zum Warten: "Notfalls kann ich mich damit auch an den Rand setzen, wenn ich doch keinen Platz kriege."
Die Sorge ist unbegründet. Zum Gottesdienstbeginn um 10 Uhr sind die meisten der zugelassenen 150 von knapp 1.000 Plätzen in der Marienbasilika zwar besetzt, doch gab es dafür kein Hauen und Stechen vor dem Kirchentor.
Viele Wartende sind früh angereist
"Ich hatte solche Sehnsucht nach der Messe", seufzt die grauhaarige Endfünfzigerin: "Nach so einer richtigen Messe". In letzter Zeit hat sie auch mal - Corona sei Dank - Fernsehgottesdienste mitgefeiert, aber "das ist doch nicht das Wahre. Immerhin besser als nix."
Ähnlich sehen es Rita Colter und Peter Wilms, die neben ihr warten. "Ich bin so glücklich, dass ich wieder zur Messe gehen kann", freut sich Colter, die mit dem Fahrrad von Goch gekommen ist. Wilms ist schon um 7 Uhr mit dem Auto losgefahren. In Neuss, gut 50 Kilometer entfernt: "Ich wollte unbedingt heute einen Gottesdienst besuchen, und das war die nächste Gelegenheit, die ich gefunden habe" Das dann auch noch der Marienmonat Mai beginnt, freut ihn zusätzlich.
Predigt von Georg Bätzing
Auf die Gottesmutter, die hier in Deutschlands zweitgrößtem Marienwallfahrtsort - nach Altötting - als "Trösterin der Betrübten" verehrt wird, geht auch Bischof Georg Bätzing in seiner Predigt ein und beim anschließenden Gebet an der Gnadenkapelle.
In Kevelaer stehe Maria eben nicht als "strahlende Himmelskönigin" da, sondern als leidgeprüfte Mutter Jesu. Sie erinnere gerade jetzt an eine der wichtigsten Aufgaben der Christen, nämlich Leidenden und Sterbenden menschliche Begleitung und Seelsorge zukommen zu lassen. Dabei gehe es nicht nur um Alte und Kranke, sondern auch um Menschen in Kurzarbeit und Existenzangst, Kinder, Alleinerziehende, Flüchtlinge und auch Menschen in Not in anderen Teilen der Welt.
Politische Botschaft
Der Bischofskonferenz-Vorsitzende wird auch sehr politisch und kritisiert das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Suizidbeihilfe: Dass diese "für rechtens erklärt wurde, erschüttert mich", denn Selbsttötung werde als "Inbegriff der Autonomie" über den Schutz des Lebens gestellt.
Das Urteil fordere Christen heraus, "ganz entschlossen für die Unverfügbarkeit des Lebens einzutreten, für das Lebensrecht der Schwachen, Kranken, Leidenden und Sterbenden - und auch der Ungeborenen". Konkret verspricht er, sich für den Ausbau von Palliativmedizin und Hospizarbeit einzusetzen.
Schutzmaßnahmen müssen sein
Dass der Gottesdienst kein gewöhnlicher ist, fällt überall auf. Die Besucher sitzen mit Abstand auf markierten Plätzen. Am Eingang werden die Hände desinfiziert. Viele Besucher vertrauen nicht nur auf den Schutzmantel der Gottesmutter, sondern auch auf Schutzmasken vor Mund und Nase - und die grünberockten Petrusschützen aus Kevelaer, die den Einlass und die Einhaltung der Hygienevorschriften kontrollieren.
"Mein Herz bebt in dieser Stunde", bekennt auch Bätzing, der wohl nie damit gerechnet hätte, mit dieser Messe in "Tagesschau" und "heute"-Nachrichten zu kommen. Weil es eine der ersten ist nach der bundesweiten Lockerung.
Gottesdienst ein guter Test
"Es war sehr bewegend, aber total ungewohnt", sagt er im Anschluss der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Die Kommunionausteilung mit Mundschutz und vorherigem Desinfizieren etwa sei arg gewöhnungsbedürftig, aber "es ist vernünftig und es ist gut, dass es so ist".
In dieser Hinsicht sei der Gottesdienst auch ein guter Test gewesen, denn "die Corona-Gefahr ist noch lange nicht vorbei". Vorsicht und Rücksicht seien noch lange nötig, und jeder müsse sich des Risikos und der großen Verantwortung bewusst sein.
TV-Gottesdienst bringt keine richtige Gemeinschaft
"Ich bin so glücklich, dass ich hier war", sagt Pamela Baumann nach der Messe strahlend. Um 4.59 Uhr hatte sie den ersten Zug in Essen-Werden genommen, um kurz nach 8 in Kevelaer zu sein. Internet- oder TV-Gottesdienste sind "so gar nicht mein Ding, ich brauche einfach die Gemeinschaft". Und jetzt? "Wahnsinn", sprudelt es aus ihr heraus: "Ich bin wirklich selig, im wahrsten Sinne des Wortes!"
Und Hilla Peters? Hat sich das frühe Kommen gelohnt? "Unbedingt!", sagt sie, lacht und macht sich mit Schirm und Plastikhocker auf den Heimweg.