Vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg

Endzeit statt Endsieg

Frühjahr 1945: Deutschland hat den Alliierten nichts mehr entgegenzusetzen. In Berlin tötet sich Adolf Hitler selbst, KZ-Häftlinge sterben auf "Todesmärschen". Und in Flensburg spielt eine Rumpfregierung auf Zeit.

Autor/in:
Joachim Heinz
Weltkriegsende - Einmarsch von US-Truppen in Mainz (dpa)
Weltkriegsende - Einmarsch von US-Truppen in Mainz / ( dpa )

Während sich das letzte Aufgebot der Deutschen im Herzen von Berlin noch ebenso erbitterte wie sinnlose Gefechte mit den russischen Truppen lieferte, nahm ein greinender "Führer" in seinem Bunker unter der Alten Reichskanzlei Abschied von seinen Gefolgsleuten.

"Meine Generale haben mich verraten und verkauft, meine Soldaten wollen nicht mehr und ich kann nicht mehr", ließ Adolf Hitler am 30. April 1945 seinen Chefpiloten Hans Baur wissen. Wenige Stunden später brachten sich der Diktator und seine Lebensgefährtin Eva Braun, die er kurz zuvor noch geheiratet hatte, um.

In seinem "Politischen Testament" hatte Hitler den im schleswig-holsteinischen Plön weilenden Oberbefehlshaber der Marine, Großadmiral Karl Dönitz, zum "Reichspräsidenten und Obersten Befehlshaber der Wehrmacht" ernannt. Hermann Göring und Heinrich Himmler dagegen verstieß der inzwischen so gut wie machtlose Machthaber wegen "Treulosigkeit gegenüber meiner Person". Dönitz zur Seite stehen sollten dagegen unter anderen Hitlers Vertrauter Martin Bormann als "Parteiminister" sowie Joseph Goebbels als Reichskanzler.

"Kind, versprich mir, dass du dich erschießt"

Doch daraus wurde nichts: Bereits am Tag darauf folgte Goebbels seinem Idol in den Tod - zusammen mit seiner Ehefrau Magda und den sechs gemeinsamen Kindern im Alter zwischen vier und 12 Jahren. "Wir möchten nicht, dass sie erleben, wie ihr Vater durch die internationalen Gazetten gezerrt wird", begründete Goebbels den Mord an den eigenen Kindern. Bormann tötete sich nur Stunden später bei einem Ausbruchsversuch aus der belagerten Reichshauptstadt, indem er auf eine Zyankali-Kapsel biss.

Wie Publizist Florian Huber in seinem Buch "Kind, versprich mir, dass du dich erschießt" schildert, setzten in den letzten Tagen des "Dritten Reichs" auch zahlreiche weniger prominente Volksgenossen ähnlich wie Hitler, Goebbels und Bormann ihrem Leben ein Ende: aus Angst, Schuldbewusstsein, Perspektivlosigkeit oder Feigheit.

Ein Sterben ganz anderer Art verbindet sich mit den sogenannten "Todesmärschen", mit denen die Nationalsozialisten die Konzentrationslager aufzulösen und ihre Untaten zu vertuschen gedachten. Von den mehr als 714.000 KZ-Insassen, die es Anfang 1945 noch gab, kamen Schätzungen zufolge mindestens 250.000 ums Leben. Die Häftlinge schleppten sich, "häufig wandelnden Skeletten gleichend", zu Tausenden über Landstraßen und durch Dörfer, beschreibt Historiker Volker Ullrich die gespenstische Szenerie in seinem soeben erschienenen Buch über "Die letzte Woche des Dritten Reichs".

In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai sollten die Waffen schweigen

Unterdessen wandte sich der neue Regierungschef am Abend des 1. Mai umrahmt von Wagners "Götterdämmerung" und Beethovens "Eroica" an die deutschen Männer und Frauen sowie die Soldaten der Wehrmacht. Die Kämpfe, so kündigte Dönitz an, hätten jetzt nur noch ein Ziel: "deutsche Menschen vor der Vernichtung durch den vordrängenden bolschewistischen Feind zu retten". Durch einen Separatfrieden mit den Westmächten hoffte der Großadmiral zudem, einer bedingungslosen Kapitulation zu entgehen.

Erst in Plön, dann in Flensburg simulierte Dönitz' Rumpfregierung mit Kabinettssitzungen politischen Alltag. Flüchtlingsströme zogen durch halb Europa und der Krieg forderte seine letzten Opfer. Beispiel "Festung" Breslau: Im heute polnischen Wroclaw lehnten die NS-Schergen eine Übergabe der Stadt ab, auch noch am 4. Mai, als Vertreter der beiden großen Kirchen eindringlich den letzten Festungskommandanten Hermann Niehoff bestürmten, dem Leiden der Menschen ein Ende zu bereiten.

Am 7. Mai um 2.41 Uhr war es dann endlich soweit. Im Alliierten-Hauptquartier im französischen Reims unterschrieben Generaloberst Alfred Jodl, Generaladmiral Hans-Georg von Friedeburg und Major Wilhelm Oxenius die bedingungslose Kapitulation Deutschlands; auf Geheiß von Sowjetherrscher Josef Stalin wurde die Zeremonie in Berlin noch einmal wiederholt. In der Nacht vom 8. auf den 9. Mai sollten die Waffen schweigen.

Und die Kirche?

Die Gefühle der meisten Deutschen schwankten zwischen Trauer, Erleichterung und Leere. Scham und Reue über die Verbrechen des NS-Regimes dagegen, so Volker Ulrich, blieben die Ausnahme. Die US-amerikanische Kriegsreporterin Martha Gellhorn stellte irritiert fest: "Niemand ist ein Nazi. Niemand ist je einer gewesen." Erich Kästner vermerkte unter dem 7. Mai in seinem Tagebuch: "Leute laufen betreten durch die Straßen. Die kurze Pause im Geschichtsunterricht macht sie nervös. Die Lücke zwischen dem Nicht-mehr und dem Nochnicht irritiert sie."

Und die Kirche? Die westdeutschen Bischöfe dankten in ihrem Hirtenwort vom 5. Juni 1945 "unseren christlichen Soldaten, jenen, die in gutem Glauben, das Rechte zu tun, ihr Leben eingesetzt haben für Volk und Vaterland". Es wäre, so die Historikern Annette Mertens, "den vielen katholischen Kriegsheimkehrern, den Kriegsgefangenen und den Angehörigen kaum zu vermitteln gewesen, wenn die Bischöfe nach all den Jahren, in denen sie Pflichterfüllung und Treue zum Vaterland gepredigt hatten, nach 1945 plötzlich das Eingeständnis geäußert hätten, dass die Katholiken in Wirklichkeit keinem christlichen Ziel, sondern einen verbrecherischen System gedient hatten".                                    


Quelle:
KNA
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