Besuche in Alten- und Pflegeheimen sind wieder möglich

Balanceakt zwischen Schutz- und Kontaktbedürfnis

Endlich die Familie wiedersehen, sich unterhalten und Zeit miteinander verbringen: Viele Bewohner in Pflegeheimen sehnen sich nach Kontakt mit ihren Verwandten – auch zum Muttertag. Es wird wohl ein Balanceakt, sagt Experte Frank Johannes Hensel.

Besuch in einem Pflegeheim während der Corona-Pandemie / © Jens Büttner (dpa)
Besuch in einem Pflegeheim während der Corona-Pandemie / © Jens Büttner ( dpa )

DOMRADIO.DE: Es ist für viele Menschen sicherlich eine schöne Nachricht, dass Besuche im Altenheim wieder möglich sind. Inwiefern ist das aber auch eine große Herausforderung?

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasdirektor und  Vorsitzender der Freien Wohlfahrtspflege NRW): Es ist jedenfalls ein besonders organisatorischer Aufwand, aber sehr zu begrüßen, dass es losgeht. Die Frage ist natürlich, was man zu diesem Wochenende schon schaffen kann.

Denn letztlich ist es binnen weniger Tage politisch verkündet worden und die Umsetzung muss jetzt vor Ort unter den strengen Hygienekriterien erfolgen. Schließlich gilt es, die Infektionsgefahr zu minimieren.

DOMRADIO.DE: Wie sehen diese Maßnahmen und Regeln aus, an die Sie sich halten müssen?

Hensel: Das sind die klassischen Abstandsregelungen, aber auch der Kontakt ist kein normaler Kontakt. Die Angehörigen und die Bewohnerinnen und Bewohner werden sich dort nicht in die Arme schließen können. Es wird nach wie vor eine zum Teil auch bauliche Distanz geben.

Es wird sich an Fenstern getroffen, an Balkonen, in Pavillons, in Bereichen, in denen ein Abstand möglich ist. Es werden auch draußen Wege miteinander möglich sein. Es ist nicht wie vor der Pandemie, aber es ist endlich nicht mehr diese Blockade da, die wir durch Corona hatten. Die war am Anfang auch absolut verständlich, hat aber weder eine gute noch eine dauerhafte Lösung darstellt.

DOMRADIO.DE: Die Abstandsregeln müssen also eingehalten werden, die Besuchstermine müssen sicherlich auch gut koordiniert werden. Wie schätzen Sie das in der Praxis ein? Wird das für lange Zeit machbar sein?

Hensel: Es muss ja für längere Zeit machbar sein, denn wir werden mit dieser Virusinfektionen eine ganze Weile zu leben haben. Damit ist das natürlich auch ein Hineinfinden. Wir sind vollkommen aufeinander angewiesen. Angehörige müssen Verständnis haben und die Regelungen respektieren. Wir müssen sie sogar durchsetzen.

Es wird nicht alles möglich sein. Es ist ein bisschen sperrig, sowohl baulich als auch von der Kontaktaufnahme sowie von der Anbahnung her. Ja, es müssen Termine vergeben werden. Ich glaube, dass wir hier zu einer Normalität in einer Krise finden müssen. Aber wir werden die auch finden, wenn wir aufeinander Rücksicht nehmen.

DOMRADIO.DE: In der Corona-Krise leiden Menschen in Alten- und Pflegeheimen besonders stark. Kein Besuch, kaum Ablenkung, wenig Körperkontakt. Wie wichtig ist denn diese Lockerung für die Bewohner selbst?

Hensel: Lebenswichtig. Kontakt ist für uns enorm bedeutend. Diese Kontaktsperre ging nicht nur mit Leid, sondern auch mit großer Verwirrung und gesundheitlicher Erschwerung einher. Viele kannten sich nicht mehr aus, hatten den Eindruck, sie werden nicht mehr gemocht und geliebt. Vertraute Kontakte sind weg.

Wir haben ganz viele Menschen in unseren Altenhilfe-Einrichtungen, die Schwierigkeiten haben, diese Situation einzuordnen. All das ist auch eine besondere Gesundheitsbelastung, wenngleich dieser Belastung natürlich eine vergleichsweise sehr hohe Gefahr schwerer Verläufe gegenübersteht.

Und genau diese Balance zwischen Schutzbedürfnis und Kontaktbedürfnis müssen wir jetzt hinbekommen und dabei alle Risiken so klein wie möglich halten. Wir müssen uns aber auch wirklich sehr klar darüber sein, dass, wann immer man Kontakte schafft und erhöht, wir auch über mehr Möglichkeiten eines Übertritts von Infektionen sprechen. Insofern können wir das nur bestmöglich kontrollieren und es dann verantwortbar machen.

DOMRADIO.DE: In Alten- und Pflegeheimen muss die größte Risikogruppe geschützt werden. Was bekommen Sie generell von den Bewohnern mit? Können die den Besuch kaum erwarten oder ist auch große Angst vor Ansteckung spürbar?

Hensel: Es ist eher ein Sehnen, dass der Besuch wieder klappt. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben natürlich eine große Sehnsucht. Insbesondere die, die das einordnen können, andere sind auf diese Weise eher nur noch verwirrter geworden. Alle sehnen sich nach Besuch. Für die Mitarbeitenden ist es natürlich eine Herausforderung.

Es gilt, mit eigenen Ängsten umzugehen, mit der Sorge um die Bewohnerinnen und Bewohner, die einem am Herzen liegen, und damit, dass man eventuell auf diese Weise im Hause auch große Schwierigkeiten bekommen kann. Denn wir haben ja Altenhilfe-Einrichtungen, in denen es zu Corona-Fällen gekommen ist. Das wird auch in der Zukunft nicht gänzlich zu vermeiden sein.

Und immer da, wo das hineinbricht, sind dann gleich mehrere betroffen, sowohl Bewohnerinnen und Bewohner als auch Mitarbeitende. Und mit dieser Besorgnis gilt es natürlich auch umzugehen. Genau darum sind solche Settings ja jetzt nötig, die dann auch noch einen großen organisatorischen Aufwand bedeuten.

Es ist nicht so, dass das Pflegepersonal mal nebenbei ein Besucher-Management und eine Einlasskontrolle hinbekommt. Das ist schon ein hoher organisatorischer Aufwand. Aber er ist es, damit der Kontakt gelingt, unbedingt wert. 

Das Interview führte Julia Reck. 


Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln)

Besuch im Pflegeheim während der Corona-Pandemie / © Christophe Gateau (dpa)
Besuch im Pflegeheim während der Corona-Pandemie / © Christophe Gateau ( dpa )
Quelle:
DR