DOMRADIO.DE: Im November 1943 traf eine Sprengbombe den Nordturm des Kölner Doms, brachte dieser Einschlag den Turm zum Wackeln, war er einsturzgefährdet?
Prof. Barbara Schock-Werner (Ehemalige Kölner Dombaumeisterin): Das war ein großes Loch. Ob der Turm wirklich einsturzgefährdet war, konnte man natürlich auf die Schnelle in dieser Zeit nicht feststellen. Aber die Gefahr war groß und deshalb hat Dombaumeister Weyres auch sofort gehandelt.
Das war natürlich nicht so einfach in dieser Zeit, man musste ja alles organisieren. Aber es gelang ihm etwa 14 Tage später, Ziegelsteine aus Wiesbaden zu bekommen. 27.000 Ziegelsteine - das ist alles genau verbucht - mit der die Kölner Firma Wiedemann dann in dieses Loch gemauert hat.
Die Firma wurde auch dafür bezahlt, wir haben die Rechnungen. Insofern waren die ersten Gerüchte, dass dazu KZ-Häftlinge oder Zwangsarbeiter vom Dombaumeister beschäftigt wurden, falsch. Allerdings hat die Firma Wiedemann damals niederländische Zwangsarbeiter beschäftigt. Ob die nun gerade dort tätig waren, wissen wir nicht.
DOMRADIO.DE: Warum konnte die Dombauhütte damals diese Arbeit nicht leisten?
Schock-Werner: Die hatten kein Material, keine Ziegelsteine und waren auch keine Maurer. Außerdem war natürlich ein großer Teil der Hüttenmitarbeiter im Krieg eingezogen. Da war nur noch eine Restbesatzung da. Das war ja eine Menge Material.
Wir wissen auch, dass nur etwa 20.000 Steine vermauert worden sind. Wo die restlichen Ziegelsteine hingekommen sind, konnte nie geklärt werden. Vermutlich gab es genug Löcher, die man dringend flicken musste.
DOMRADIO.DE: Die Wunde, die die Bombe damals in den Turm geschlagen hat, hat man auch viele Jahrzehnte nach dem Krieg noch am Nordturm sehen können: die roten Backsteine, diese Ziegelsteinwand als sogenannte "Dom-Plombe". Doch dann beschloss man zu Beginn der 90er Jahre, den Turm zu restaurieren?
Schock-Werner: Ja. Weder von Dombaumeister Weyres noch von Dombaumeister Wolff war es je vorgesehen, diese Ziegel sichtbar zu lassen. Es gab nur sehr viele andere Dinge, die zuerst repariert werden mussten. Zum Beispiel das große Loch im Westen - es ist ja eine Bombe durch das Westfenster reingekommen - und auch andere Dinge.
Als Arnold Wolff dann daran ging, endlich diesen Schaden zu reparieren, begannen die ganz große Diskussion, ob das zulässig ist oder nicht. Ich bin froh, dass nicht ich diese Diskussion führen musste, sondern noch mein hochverehrter Vorgänger.
Sie endete damit, dass vom Domkapitel und auch vom Dombaumeister beschlossen wurde, dass man sie schließen sollte, was bis heute sozusagen umstritten ist.
DOMRADIO.DE: Es gab damals viele Stimmen, die sagten, man möge die Ziegelsteinmauer als Mahnmal gegen den Krieg so belassen.
Schock-Werner: Das ist durchaus richtig. Nur finde ich als sozusagen Nicht-Kölnerin, dass diese ganze Stadt mit ihrem Flickwerk von Nachkriegsarchitektur ein Mahnmal gegen den Krieg ist, da braucht man diese paar Quadratmeter Ziegel nicht. Zumal diese Stelle am Nordturm ja sichtbar bleibt, denn die Steine an der reparierten Stelle sind und bleiben viel heller als der übrige Dom. Das liegt daran, dass die Rußöfen früher den Dom eingeschwärzt haben - diese Rußöfen gibt es heute nicht mehr.
DOMRADIO.DE: Die Reparaturen dauerten zehn Jahre. Wurde das ganz wie im Original gemacht oder ist das jetzt eine Verkleidung, hinter der immer noch Ziegelsteine sind?
Schock-Werner: Dahinter sind immer noch die Ziegelsteine. Ein Teil musste abgearbeitet werden, weil der Stein ja nicht dünn davor geklebt werden konnte. Im Prinzip haben wir sie aber drin gelassen. Das wäre ja auch sinnlos gewesen, sie rauszunehmen, vielleicht sogar ein bisschen gefährlich.
DOMRADIO.DE: Nun ist heute der 75. Jahrestag des Kriegsendes. Der Kölner Dom war auch einmal ein Nationalsymbol, der für den Nationalstolz des deutschen Reiches stand. Heinrich Heine hat ihn deswegen geschmäht. Heute ist er ein Symbol für den Frieden. Was bedeutet der Dom? Warum kann er uns zum Frieden mahnen?
Schock-Werner: Der Dom ist ein Symbol des Friedens, weil er natürlich den Krieg überlebt hat. Das habe ich in Gesprächen mit sehr vielen Kölnern erlebt. Die Generation, die aus der Kriegsgefangenschaft oder aus der Evakuierung zurückgekommen ist, sagte: "Und da stand der Dom. Das war für uns sozusagen das Symbol: Der Krieg ist vorbei. Aber es ist noch nicht alles zu Ende. Es bricht eine neue Zeit an". Eine Zeit, die alle mit einer neuen Zeit des Friedens verbunden haben.
Das Interview führte Johannes Schröer.