Vor 300 Jahren geboren: Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen

"Lügenbaron" wider Willen

Wer sich selbst samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen und auf einer Kanonenkugel durch den Krieg reiten kann - der wird doch wohl mal ein bisschen übertreiben dürfen? Eine Ode an die Meerschaumpfeife.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Skulptur in Bodenwerder des Lügenbarons von Münchhausen / © g215 (shutterstock)
Skulptur in Bodenwerder des Lügenbarons von Münchhausen / © g215 ( shutterstock )

Das ist jetzt aber mal die reine Wahrheit: Der "Lügenbaron" wird 300 Jahre alt. Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen wurde am 11. Mai 1720 auf dem Stammsitz der Familie im niedersächsischen Bodenwerder bei Holzminden geboren - und dort starb er auch knapp 77 Jahre später. Doch dazwischen hat er - Potzdonner! - so einiges erlebt. Seine Geschichten machten ihn weltberühmt. Ausgerechnet das hat er aber nun so gar nicht gewollt.

Doch halt - ordentliche Geschichten fangen vorne an. Der junge Landadelige Münchhausen, fünftes von acht Kindern und ohne Vater aufgewachsen, folgt 1738 als Page seinem Dienstherrn Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel nach Sankt Petersburg. Dem Herzog winkt eine großartige Karriere, ist seine Gattin Anna doch eine Nichte und die designierte Nachfolgerin der Zarin Anna von Russland.

Glückliche Jahre

Zunächst allerdings sind Schlachten zu schlagen, im Russisch-Österreichischen Türkenkrieg (1736-1739). Viele der späteren Lügengeschichten dürften auf diesen frühen Kriegserlebnissen beruhen, etwa der Ritt auf der Kanonenkugel, mit der der Baron die feindlichen Stellungen inspiziert - und für den Rückflug dann eben ein vom Gegner abgefeuertes Geschoss benutzt.

1739 beginnen Münchhausens wohl glücklichste Jahre. Des Herzogs Braunschweiger Kürassierregiment liegt in Riga in Garnison; im Russisch-Schwedischen Krieg (1741-1743) wird er zum Leutnant befördert. Viel wichtiger aber: Auf dem Landgut seines Rigaer Freundes, des deutschbaltischen Richters und Landadligen Georg Gustav von Dunten, trifft er die Liebe seines Lebens - dessen Tochter Jacobine. 1744 heiraten die beiden in der Kirche des nahegelegenen Dorfes Liepupe; der Traueintrag ist in den Kirchenbüchern erhalten.

Sechs Jahre lebt das junge Ehepaar auf dem livländischen Gutshof von Dunte, etwa 60 Kilometer nördlich von Riga. Heute beherbergt er ein hübsches kleines Münchhausen-Museum. Vom Herrenhaus führt fünf Kilometer bis zum Meer ein Münchhausen-Waldlehrpfad. Die Bewohner des malerischen Ortes am Vidzeme-Strand sollen übrigens schon seit vielen Jahrhunderten zuvor Münchhausen-Geschichten erzählt haben. Für Lettland ist Dunte ein besonderer Ort. Hier trifft sich das Meer mit dem Wald, im Winter werden Pferde an die Kirchtürme angebunden, und ein einziger Pistolenschuss trifft zehn Enten. Erzählt man.

Lüge und Biographie

Nicht unwahrscheinlich also, dass Münchhausen hier mit seinem Pferd mitten durch eine fahrende Kutsche ritt; dass er sich samt Pferd am eigenen Schopf aus dem Sumpf zog; und dass er auf der Jagd einem Wolf ins Maul fasste und dessen Inneres nach außen stülpte. Und hier muss auch jene Schenke gewesen sein, in der im tiefen Winter die eingefrorenen Töne aus dem Posthorn des Kutschers auftauten und verspätet erklangen.

Eine entscheidende Eintrübung des ländlichen Idylls kommt aus dem fernen Petersburg. Eben noch war der neugeborene Sohn von Herzog Anton Ulrich zum neuen Zaren Iwan VI. ausgerufen worden - da stieß ihn nun Annas Cousine Elisabeth, eine Tochter Peters des Großen, vom Thron und sperrte die Familie für lange Zeit ein. Auch Münchhausens glänzende Aussichten im Schlepptau des Herzogs sind damit perdü. Bis 1750 muss er auf seine Beförderung zum Rittmeister (Hauptmann) warten. Dann nimmt er seinen Abschied und kehrt mit seiner Frau Jacobine und seinen Geschichten auf das heimische Gut in Niedersachsen zurück.

Wachsender, aber zweifelhafter Ruhm

In Bodenwerder lebt Münchhausen das Leben eines arrivierten Landadligen; jagt, empfängt Nachbarn und Gäste und lebt sein phänomenales Erzählertalent aus. Doch: Ein Urheberrecht gibt es damals, in den letzten Tagen des Ancien Regime, noch nicht. Gleich mehrere seiner Zuhörer klauen ihm seine Münchhausiaden und veröffentlichen sie in den 1780er Jahren, teils kompiliert mit anderen "Lügengeschichten". Diesen wachsenden, aber zweifelhaften Ruhm hat er nicht gewollt, ja er empfindet ihn als ehrabschneidend. Schließlich geht es ihm nicht um Lügen und Lächerlichkeit, sondern um schöpferische Einbildung - und geistreiche Unterhaltung!

Und noch etwas anderes vergällt ihm den Lebensabend in Bodenwerder. Nachdem seine Jacobine 1790 nach 46 Jahren Ehe gestorben war, heiratet Münchhausen sein erst 20-jähriges Patenkind, die Offizierstochter Bernhardine. Doch die Sache geht nicht gut. Wegen angeblicher Untreue reicht der greise Baron schon kurz darauf die Scheidung ein. Der Rosenkrieg kostet ihn Nerven und sein gesamtes Vermögen; Bernhardines Anwälte verfemen ihn als "Lügenbaron". Verarmt und schlecht gelaunt stirbt Hieronymus Carl Friedrich von Münchhausen am 22. Februar 1797 in Bodenwerder.

Seine Geschichten freilich haben ihn unsterblich gemacht. Die wohl berühmteste der unzähligen Verfilmungen ist der aufwändige UFA-Film von 1943 mit Hans Albers in der Titelrolle - die zweitteuerste Filmproduktion der gesamten NS-Zeit. Zuletzt ritt 2012 Jan Josef Liefers für die ARD auf der Kanonenkugel.


Quelle:
KNA