Die Pflegebranche als Pflegefall: Jahrelang haben Pflegekräfte in Kliniken und Altenpflege vergeblich um mehr Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen gekämpft. Erst in der Corona-Krise bescheinigen ihnen Politik und Gesellschaft, dass sie "systemrelevant" sind: die 1,5 Millionen Pflegekräfte in Deutschland. "Die wahren Helden" nannte sie die "Bild"-Zeitung neulich auf ihrer Titelseite: "Sie riskieren ihr Leben und das ihrer Angehörigen, um die Leben anderer zu retten."
"Die Krise hat auf dramatische Weise Werte und Prioritäten verändert, die Schwachstellen im deutschen Gesundheitswesen offengelegt. Und gleichzeitig klargestellt, welch immense Bedeutung die Pflegeberufe in diesem System tatsächlich haben", sagt Christel Bienstein, Präsidentin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK).
Krise als Wendepunkt?
Die Krise als Wendepunkt? "Die jetzt als systemrelevant gelobten professionell Pflegenden werden sich nicht länger mit prekären Arbeitsverträgen, mäßigen Arbeitsbedingungen, chronischer Überlastung, unterdurchschnittlicher Vergütung und grundsätzlichen Entscheidungen ohne ihre Beteiligung zufriedengeben", betonte Bienstein am Donnerstag in Berlin mit Blick auf den Internationalen Tag der Pflegenden, der am 12. Mai begangen wird, dem Geburtstag der britischen Krankenpflegerin und Pionierin der modernen Krankenpflege, Florence Nightingale. "Ab 2020 wird in Deutschland neu zu klären sein, was Pflegefachpersonen uns wert sind."
Dabei wollen sich die Pflegekräfte nicht mit dem zuletzt so oft gehörten Applaus oder den am Donnerstag vom Bundestag debattierten einmaligen Bonus-Zahlungen abspeisen lassen. Es geht um die grundsätzliche Aufwertung eines Berufs, der in der alternden Gesellschaft immer mehr an Bedeutung gewinnt, jedoch zuletzt vor allem durch Negativmeldungen wie wachsende Personalnot, Zeitdruck, hohe körperliche Anforderungen, steigende Pflegekosten und Mängel in Heimen und ambulanten Diensten auf sich aufmerksam machte. Konkret gefordert werden eine bessere Bezahlung, eine verlässliche Personalbemessung in Krankenhäusern und Altenpflege, die Modernisierung der Ausbildung und eine veränderte Aufgabenverteilung in den Gesundheitsberufen.
"Noch immer im Krisenmodus"
Schon vor der Coronakrise hatte die Politik Reformen gestartet, um den Pflegeberuf aufzuwerten. 2019 hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) beispielsweise eine Verordnung auf den Weg gebracht, die Untergrenzen beim Pflegepersonal in bestimmten Krankenhausbereichen festschreibt. Ein höherer Mindestlohn für Pflegeberufe ist beschlossene Sache. Gegen heftige Widerstände privater Arbeitgeber kämpfen Spahn und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) auch für einen bundesweiten Tarifvertrag in der Branche.
"Wir sind bei vielen Themen in der Umsetzungsphase", sagt der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner. "Ich habe aber das Gefühl, dass wir uns - nach langen Jahren der Stagnation - noch immer im Krisenmodus befinden und Mängel beseitigen müssen." Für die Pflegekräfte sei ein klares Signal notwendig, dass es bald zu konkreten Verbesserungen komme. Die Pflegenden brauchten die Perspektive, dass ihr Dienstplan bald wieder verlässlich ist, es freie Wochenenden und bessere Bezahlung gibt.
Kurswechsel in der Gesundheitspolitik
Schützenhilfe haben die Pflegeverbände im Februar durch eine Allianz von drei großen deutschen Stiftungen erhalten. Die Robert Bosch Stiftung, die Bertelsmann Stiftung und die Stiftung Münch sprachen sich für einen Kurswechsel in der Gesundheitspolitik aus. Professionell Pflegende müssten ärztliche Aufgaben übernehmen dürfen; ihre berufliche Selbstverwaltung müsse gestärkt werden. Zudem müsse die Akademisierung des Berufs vorangetrieben werden.
"Die Realität zeigt, dass das Bild 'Pflege kann jeder' gefährlich ist und nicht gegen den Fachkräftemangel hilft", erklärten die Stiftungen in einem Positionspapier. Deutschland leiste sich eine sehr gute Breitenmedizin, eine wettbewerbsfähige Spitzenmedizin und zugleich einen Dauerpflegenotstand. "Nur wenn die Attraktivität des Berufsbildes steigt, werden wir langfristig genügend Personal gewinnen können", hieß es.