Allgemeiner Cäcilien-Verband: Vielleicht wieder Proben ab Herbst

Dürfen Chöre bald wieder singen?

Chorsingen ist seit der Corona-Krise weitgehend verboten, denn das Ein- und Ausatmen gilt als besonders infektiös. Doch der Präsident des Allgemeinen Cäcilien-Verbands für Deutschland hofft, dass Proben ab Herbst wieder möglich sind.

Singen in einem der vier Chöre am Kölner Dom bedeutet auch und vor allem Gemeinschaft. / © Beatrice Tomasetti (DR)
Singen in einem der vier Chöre am Kölner Dom bedeutet auch und vor allem Gemeinschaft. / © Beatrice Tomasetti ( DR )

DOMRADIO.DE: Wie sind denn die Rückmeldungen der Kirchenmusiker und Chöre? Wie sehr leiden die Chormitglieder darunter, dass es schon seit Monaten keine Proben, Konzerte oder auch Gottesdienste mehr gibt?

Diakon Dr. Marius Schwemmer (Präsident des Allgemeinen Cäcilien-Verbands für Deutschland, ACV): Wir bekommen die Rückmeldung, dass die regelmäßigen Treffen für gemeinsame Proben, Gottesdienste oder Konzertgestaltungen den Chören sehr fehlen - und damit auch die verbundene Erfahrung von Chorgemeinschaft. Viele Chorleiterinnen, Chorleiter und Chöre sind sehr kreativ und versuchen, die Zeit durch andere Formate wie Onlineproben zu überbrücken. Aber dass die Chöre keine Gottesdienste und Konzerte gestalten und auch nicht physisch miteinander proben können und so auch keine direkten Begegnungen haben, darunter leiden sie sehr.

DOMRADIO.DE: Sie haben es gerade schon angesprochen: Immer mehr Chöre verlegen sich auf digitale Proben in unterschiedlichen Formen. Für wie tragfähig halten Sie diese neue Art des Singens?

Schwemmer: Wir bekommen da unterschiedliche Rückmeldungen und haben auch eigene Erfahrungen gemacht. Wir hören, dass es ein hilfreicher Notbehelf ist und dass man in Verbindung bleiben kann, es aber Proben und ein gemeinsames Musizieren in Präsenz nicht ersetzt und sicherlich auch zukünftig nicht ersetzen kann.

Es gibt digitale Einstudierhilfen und Anregungen zum Notentext-Studium zur eigenen Vorbereitung, was über die Corona-Zeit hinaus auch tragen könnte. Aber es scheint kein Ersatz zu sein für ein gemeinsames Singen.

DOMRADIO.DE: Wie gefährlich ist die Zwangspause für den Fortbestand von Kirchen, Chören und einer lebendigen Kirchenmusik?

Schwemmer: Bei den gottesdienstlichen Ersatzformaten, die ich so mitbekommen habe, zeigt sich in aller gebotenen Reduzierung und Konzentration mitunter eine sehr kreative und für mich auch spirituell und künstlerisch bereichernde Kirchenmusik.

Andererseits können wir nicht absehen, wie lange die Zwangspause, dieser Stillstand, bei den Chören noch sein wird. Ein normaler Probenbetrieb wie vor der Corona-Zeit wird oft mit der Einführung eines Impfstoffs in Verbindung gebracht. Gleichzeitig wird auch immer betont, dass es noch dauern wird. Da wird den Chören noch viel Geduld abverlangt. Wie es sich auswirkt, ob es zu einem chorischen Traditionsbruch oder - hoffentlich nicht - zu einem Abbruch kommt, wird man sehen, wenn die Zeit vorüber ist. 

DOMRADIO.DE: Wie können Sie auch als Verband Ihre Kirchenmusikerinnen- und musiker in dieser Situation unterstützen?

Schwemmer: Als Allgemeiner Cäcilienverband (ACV) versuchen wir - zusammen mit den Pueri Cantores und anderen Chorverbänden - die ganzen Studien und Risikobewertungen zu sammeln und in eine Synopse zu bringen. Um dann daraus Empfehlungen für die Mitgliedschöre und die Chorleiterinnen und Chorleiter zu bekommen, die mit einer großen Flut von Stellungnahmen und Risikoeinschätzungen konfrontiert sind.

Wir arbeiten auch an einem Kriterienkatalog, unter welchen Bedingungen Singen in Gemeinschaft im kirchlichen Kontext wieder verantwortbar erscheinen könnte oder erscheint. Und wir sammeln Beispiele, wie Chöre die momentane Situation überbrücken: Wie sie es schaffen, die Gemeinschaft aufrecht zu erhalten, wie sie virtuell gemeinsam singen, welche Möglichkeiten von digitalen Probeformaten es gibt und welche Erfahrungen damit gemacht werden. Und wir veröffentlichen dies dann in unserer ACV-Verbandszeitschrift und die Pueri Cantores stellen es auf Ihre Homepage.

DOMRADIO.DE: Aktuelle Untersuchungen der Universität der Bundeswehr München legen nahe, dass beim Singen mit einem Abstand von
1,5 Metern das Infektionsrisiko eher gering ist. Wie schätzen Sie das ein?

Schwemmer: Ich habe schon die vielen Studien und Risikobewertungen erwähnt, die sehr variieren. Ich tue mich da sehr schwer. Es gibt Pressemeldungen über eine große Anzahl von Infizierten nach Chorproben wie bei der Berliner Domkantorei oder auch nach Konzerten in Amsterdam - das sind Schreckensszenarien, die zur Vorsicht mahnen. Aber für mich sind sie auch Anlass zu einer Suche nach den genauen Gründen und den Infektionsmomenten. Wann kann das passieren? Ist es direkt beim Singen oder kann es auch vor, zwischen, nach dem Singen gefährlich sein?

Da tue ich mich selber sehr schwer und kann keine medizinische, fundierte Fachmeinung abgeben, sondern bin wie die Kollegen auf fachliche Untersuchungen aus der Musikmedizin und von medizinischen Behörden angewiesen. Ich finde aber gerade deswegen auch fundierte Untersuchungen über Raum- und Rahmenbedingungen für kirchliche Ensembles sehr wichtig.

DOMRADIO.DE: Viele Sängerinnen und Sänger warten ja schon ungeduldig darauf, wieder singen zu dürfen. Unter welchen Umständen und ab wann halten Sie die Wiederaufnahme der Chorproben wieder für möglich und für verantwortbar?

Schwemmer: Obwohl ich will, kann ich keinen genauen Termin nennen, und ich will auch keine falschen Hoffnungen machen. Wir haben die Verantwortung für eine Risikogruppe, die es bei den kirchlichen Chören oft gibt. Es gibt jetzt momentan die Überlegung - die ich sehr spannend finde - dass wir in Deutschland 24.000 katholische Kirchen mit einer durchschnittlichen Grundfläche von 250 bis 300 Quadratmetern und einer Mindesthöhe von sieben Metern haben.

Wir haben bei den Kirchenchören statistisch durchschnittlich um die 30 Mitglieder, in anderen Chören sind es um die 20, in Jugendchören so um die 15-20. Wenn man daran die derzeitigen Vorgaben der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft und andere Einschätzungen anlegt, erscheint es prinzipiell realistisch, dass ein Chor in dieser Größe unter den Sicherheits- und Hygienevorgaben und mit entsprechendem Abstand, wieder physisch in Kirchenräumen proben könnte - vielleicht erst einmal in Gruppen und wenn die Frage der Durchlüftung geklärt ist.

Unser Ziel ist, dass mit dem Kriterienkatalog für ein verantwortbares Singen in Gemeinschaft, mit dem wir uns beschäftigen, eine Proben-Wiederaufnahme ab Herbst begründbar, verantwortbar und möglich ist.

Das Gespräch führte Michelle Olion.


Quelle:
DR
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