Ein Bild wie aus der Zeit gefallen. Ins Schweigen versunken knien sieben Frauen und fünf Männer mit Blick auf das Kreuz auf einem einfachen Bastteppich – scheinbar verschmolzen zu einer Einheit mit ihrer Umgebung. Nur ab und zu, wenn es das warme Licht der Abendsonne zulässt und es sich seinen Weg durch die Fenster der Westfassade von Groß St. Martin bahnt, leuchten die weißen Gewänder der wortlos Betenden kurz auf. Und heller noch – wie kleine Ampeln in diesem weiten steinernen Raum – strahlen dann die weißen Schleier der Schwestern. Es ist nur ein schlicht als Dreieck im Nacken zusammengebundenes Baumwolltuch und dennoch charakteristischer Bestandteil ihrer Ordenstracht mit Wiedererkennungswert.
Doch was wie eine Idylle an einem Sehnsuchtsort erscheint, ist ein bewusstes Lebenskonzept mit festem Rhythmus. Denn Stillezeiten, Gebet und Kontemplation gehören zu diesen Nonnen und Mönchen, die eine halbe Stunde lang schier bewegungslos auf dem Boden hocken, genauso wie ein aktives Leben inner- und außerhalb ihrer imaginären Klostermauern. Schließlich gehen die meisten von ihnen einer Berufstätigkeit nach und sind dafür den halben Tag außer Haus. Denn obwohl die Monastischen Gemeinschaften von Jerusalem nach dem Vorbild herkömmlicher Orden leben, siedeln sie sich am liebsten dort an, wo das Leben pulsiert und sie als Gemeinschaft, wie Schwester Edith Kürpick, die Kölner Priorin, es formuliert, alte Werte aus monastischer Tradition in den heutigen Kontext der Stadt übersetzen können. "Wir teilen die Bedingungen der Menschen, die hier leben. Das ist uns wichtig. Und wir suchen den Kontakt zu ihnen. Das gehört zu unserem Selbstverständnis." Beruf und Berufung – beides gehört für die Theologin, die lange Zeit in Paris gelebt hat, wo ihre Gemeinschaft 1975 gegründet wurde, zusammen. Und eben auch der Rückzug in die eigene Spiritualität, aber andererseits dann genauso die Öffnung für die Welt und damit auch für eine Arbeit im ganz normalen Alltag.
Nur scheinbar ein Leben voller Gegensätze
Besonders augenscheinlich wird dieser Lebensentwurf am Umfeld der einstigen Abteikirche der Benediktiner aus dem Jahr 1150: In den mehrstöckigen Wohnblocks mit bester Aussicht auf Altstadt und Rhein, die das erhabene Gotteshaus von allen Seiten umschließen, befinden sich in den Erdgeschossen zahlreiche Bars und Brauhäuser, Arztpraxen und Kanzleien. Nur ein paar Schritte sind es von diesen Lokalen und Geschäftsräumen in eine andere Welt, wo diese Gruppe weitestgehend noch junger Ordensleute ihren ganz eigenen Weg – abseits von Konsum und auch einer für Großstädte typischen Anonymität – gestaltet. Dazu gehören vor allem auch die Feier der Liturgie und ein außergewöhnlich berührender Gesang, für den die Monastischen Gemeinschaften bekannt sind und der für die Mitfeiernden von überall her ein Stück Himmel auf Erden ist.
Nur auf den ersten Blick zeigt sich ein Leben voller Gegensätze und Widersprüche. Denn die Selbstverständlichkeit, mit der Schwester Edith und Pater Jean-Tristan Taillefer, Prior der Brüdergemeinschaft, über ihre Vorstellungen von einem erfüllten geistlichen Leben in der Nachfolge Jesu sprechen, zeigt, dass das Neben- und Miteinander dieser vielen unterschiedlichen Impulse – die Ruhe und Askese auf der einen, aber auch die rastlose Betriebsamkeit und unbändige Lebensfreude auf der anderen Seite – durchaus möglich ist, zufrieden macht und auch andere ansteckt, sich auf diese Taktung vorübergehend einzulassen.
Virus hat große Sehnsucht nach Vertrautem offengelegt
Jedenfalls sind die Schwestern und Brüder im Herzen der Rheinmetropole immer gefragte Gastgeber – besonders an den großen kirchlichen Feiertagen wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Geistliche Gespräche in der Gruppe, gemeinsame Mahlzeiten, viel Musizieren, aber auch bergende Stille und Meditation im kargen Kircheninneren– das sind die Elemente eines Tagesablaufs, wie er als ungewöhnliche Mischung nicht nur Nonnen und Mönchen gut tut. Und daher sei das Haus auch oft an den Wochenenden voll, freut sich Pater Jean-Tristan, der früher mal in Frankreich als Banker gearbeitet hat.
Doch wochenlang haben beide Gemeinschaften, die eigentlich zwei voneinander getrennte Mikrokosmen mit unabhängigen Leitungsstrukturen sind und nur zum Stundengebet oder zur Messfeier zusammenkommen, coronabedingt die sonst üblichen Gäste, vor allem aber die Kirchenbesucher, entbehren müssen. Und das schmerzlich. Darin sind sich alle einig. "Das Virus hat uns völlig auf den Kopf gestellt", gesteht Schwester Katharina. Denn dass von jetzt bis gleich keine Gemeindegottesdienste mehr gefeiert werden konnten, habe eine große Sehnsucht nach Vertrautem offengelegt, gleichzeitig aber Raum für kreative Ideen geschaffen, mit den Menschen wenigstens digital in Verbindung zu bleiben. "Wir haben unsere Liturgie und die Gebetszeiten über Soundcloud-Podcasts ins Netz gestellt und, was die technischen Möglichkeiten angeht, eine ganz neue Welt für uns entdeckt", stellt die 37-Jährige fest, die als Theologin in einer Stiftung für die kirchliche Unternehmenskultur zuständig ist.
"Die Gemeinschaft zu spüren ist wichtig"
Ganz nebenbei sei in dieser Zeit für sie auch die Frage nach dem eigenen Glauben neu aufgebrochen. "Die äußeren Umstände haben uns zu einer noch sensibleren Wahrnehmung unserer Umgebung gezwungen und zur Auseinandersetzung mit dem, was uns in normalen Zeiten trägt." Auch die Art des Betens füreinander habe an Intensität gewonnen. "Wir leben und beten nun mal aus der Beziehung zu den Menschen heraus." Die zwangsläufige Isolation aber habe vielen natürlich auch Angst gemacht. Und die eigenen Gefühle, die sie sonst nach einer Osternacht mit den Leuten in der Kirche geteilt habe, hätten diesmal kein Echo gefunden. "Es gab keine gewohnt strahlenden Gesichter, in denen sich die eigene Freude hätte widerspiegeln können. Buchstäblich war unser sonst so lebendiger Ort hier im Zentrum der Partymeile wie ausgestorben." Doch trotz aller Beschränkungen, resümiert die Ordensfrau, habe diese Zeit der Entbehrungen auch eine große Weite gehabt. Letztlich habe im Vertrauen auf Gott jeder seinen eigenen Weg im Umgang mit der Krise gefunden.
Von einer "großen Leerstelle" spricht auch Bruder Christian, wenn er an Ostern 2020 zurückdenkt. "Ohne Gläubige war das eine ganz neue Erfahrung. Es ist ja nicht nur so, dass wir als Gemeinschaft die anderen mit unserem Gebet tragen, sondern sie umgekehrt auch uns." Zudem sei es zunächst für alle ein Lernprozess gewesen, sich sprichwörtlich auf den Weg zu machen und nach Möglichkeiten der Vernetzung mit den Menschen draußen zu suchen. "Allein für die logistischen Planungen haben wir stundenlang zusammengesessen." Nun sei er dankbar, dass sie mittlerweile wieder öffentliche Messen mit immerhin bis zu 50 Teilnehmern feiern dürften. "Die Gemeinschaft zu spüren ist wichtig." Manche Besucher hätten beim ersten gemeinsamen Gottesdienst sogar Tränen in den Augen gehabt. Trotzdem habe er selbst deutlich gemerkt, dass Gott mit seinen Gaben auch in der Krise gegenwärtig gewesen sei.
"Wir sind mit dem Thema noch lange nicht fertig"
"Der Kontakt mit den Menschen ist Teil unserer Spiritualität", pflichtet Schwester Sarah-Franziska bei, die als promovierte Bio-Chemikerin in einem kleinen Troisdorfer Betrieb, der Reinigungs- und Desinfektionsmittel herstellt, deren Sicherheit überprüft. "Ich musste nach der Karfreitagsliturgie unbedingt noch einmal die Stadt spüren, die an diesem Tag so fundamental anders war, als wie sie kennen. Eine City ohne Menschen, Ostergrüße in eine Wüste hinein – das sei schon insgesamt surreal gewesen, findet sie. Auch wenn ihre Tätigkeit als systemrelevant gilt und sie während des Lockdowns jeden Tag zur Arbeit gefahren ist, freut sie sich jetzt über jeden weiteren Schritt Richtung Normalität – auch für ihre Mitschwestern, die zeitgleich im Homeoffice saßen und nur zum Stundengebet und den Messen nach nebenan in die Kirche konnten. Christus auch in dieser Phase einer großen Unsicherheit zu entdecken, ihm Platz zu lassen im eigenen Leben, sei schon eine Herausforderung, die womöglich in den nächsten Wochen, Monaten und Jahren noch bestehen bleibe, erklärt die 33-Jährige.
"Als Ordensgemeinschaft genügen wir nicht uns selbst"
Dass diese allgemeine Verunsicherung – auch bezogen auf das Verhältnis von Nähe und Distanz – auf unbestimmte Zeit die Menschen prägen werde, treibt auch Schwester Edith um. Und dass absehbar keiner mit dem Thema als solchem, aber auch der damit verknüpften Botschaft Gottes an die Welt und seine Kirche fertig sei. "Mit dieser Frage werden wir noch eine ganze Weile beschäftigt sein." Aber jetzt wollten sie erst einmal wieder raus zu den Menschen. "Die Corona-Pandemie hat einmal mehr das Bewusstsein dafür geschärft, was wir auch vorher schon wussten: dass wir uns als Ordensgemeinschaft nicht selbst genügen. Schließlich sind wir doch alle gemeinsam unterwegs, auch wenn wir für manchen dabei nur Durchgangsstation sind." Trotzdem: Für sie sei jede Begegnung eine Bereicherung.
Intensiver also sonst habe sie wahrgenommen, wie sehr es doch auf das Miteinander und Gemeinsame ankomme. Ihren liturgischen Dienst nehme sie daher auch bewusst stellvertretend für die vielen wahr, die sonntags noch nicht wieder kämen – ob aus Sorge vor Ansteckung oder wegen der Vorbehalte, den Gottesdienst nicht in gewohnter Weise feiern zu können. Dafür hat die Ordensfrau Verständnis. Es sei eine Illusion zu glauben, dass nach Corona einfach alles so weitergehen werde wie bisher. Vielleicht schöpft die 52-Jährige gerade deshalb Mut aus den Texten von Ostern. Auch darin sei von Verunsicherung die Rede, als sich die Jünger aus Furcht vor den Juden hinter verschlossenen Türen versammelt hätten, erzählt sie munter. Dann aber sei Jesus in ihre Mitte getreten, habe gesagt: Friede sei mit euch! Und habe sie angehaucht. "So etwas ausgerechnet in Zeiten von Corona zu lesen, hat mich doch glatt umgehauen", lacht Schwester Edith.
Die schönsten Bilder finden Sie hier.
Anm. d. Red.: Text und Bilder sind im April 2020 entstanden. Wenn von Ostern die Rede ist, bezieht es sich auf das Osterfest 2020.