Die weltberühmte Hagia Sophia steht vor einer neuerlichen Zäsur

Vom Museum zur Moschee

​Am Freitagnachmittag wurde ein Urteil des Obersten Verwaltungsgerichts in der Türkei bekannt. Die Richter annullierten den Status der Hagia Sophia als Museum. Fragen und Antworten zu den Vorgängen rund um den weltberühmten Kuppelbau.

Autor/in:
Joachim Heinz
Blick auf die Hagia Sophia / © Osman Orsal/XinHua (dpa)
Blick auf die Hagia Sophia / © Osman Orsal/XinHua ( dpa )

Es ging alles sehr schnell. Noch am Freitagabend wandte sich der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan mit einer TV-Ansprache an die Bevölkerung. Bereits am 24. Juli solle das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia stattfinden.

Warum sorgt eine mögliche Nutzung der Hagia Sophia als Moschee für soviel Wirbel?

Das liegt vor allem an der wechselvollen Geschichte des Baus. Die Hagia Sophia ("Göttliche Weisheit") wurde im Jahr 537 als Reichskirche des griechisch-orthodoxen Kaiserreichs Byzanz geweiht und war damals die größte Kirche des Christentums. Nach der Eroberung Konstantinopels, des heutigen Istanbul, durch die türkischen Osmanen wurde sie 1453 zur Moschee und mit Minaretten versehen. Das imposante Bauwerk mit der 55 Meter hohen Hauptkuppel ist damit ein wichtiges Zeugnis der christlichen und auch der islamischen Religionsgeschichte.

Was verspricht sich Erdogan von dem Schritt?

Der türkische Präsident, so vermuten Beobachter, will damit vor allem seine Stellung unter seiner islamisch-konservativen Anhängerschaft festigen. Erdogan steht unter Druck: die Arbeitslosigkeit in der Türkei ist hoch, die Corona-Pandemie wirkt sich zusätzlich negativ auf die Wirtschaft aus, der Syrien-Krieg, die Flüchtlingsfrage und das aus unterschiedlichen Gründen angespannte Verhältnis sowohl mit Russland als auch der EU engen die Handlungsspielräume des Präsidenten ein. Indem er nun die Entscheidung von Staatsgründer Mustaf Kemal Atatürk revidiert, der aus der Hagia Sophia 1934 ein Museum machte, setzt Erdogan ein Zeichen: gegen die von Atatürk betriebene Trennung von Religion und Staat. Nötig wäre ein weiteres Gebetshaus in Istanbul sicher nicht. In der 15-Millionen-Metropole gibt es schätzungsweise 3.200 Moscheen.

Bereits am 24. Juli soll das erste Freitagsgebet in der Hagia Sophia stattfinden - können Touristen das Bauwerk dann überhaupt noch besuchen?

Ja, beschwichtigen die türkischen Behörden. "Alle unsere großen Moscheen wie die Blaue Moschee, die Fatih- und die Süleymaniye-Moschee stehen sowohl Besuchern als auch Gläubigen offen", betonte Präsidentensprecher Ibrahim Kalin bereits vor dem Gerichtsurteil vom Freitag. Beispielhaft verwies er auf berühmte christliche Gotteshäuser wie Notre-Dame in Paris, die sowohl Touristen als auch Gläubigen offenstünden. "Ein Verlust des Weltkulturerbes steht also nicht in Frage."

Das könnte die Unesco möglicherweise anders sehen, auf deren Welterbeliste die Hagia Sophia steht. Die in Paris ansässige Weltkulturorganisation teilte ihre "ernsten Bedenken" jedenfalls dem türkischen Botschafter noch am Freitagabend mit. Offen bleibt einstweilen, ob es besondere Vorkehrungen geben wird, wie die Trennung in einen Gebets- und Besuchsraum. Präsidentensprecher Kalin ließ darüber hinaus verlauten, die während der Museumszeit freigelegten christlichen Mosaiken und Gemälde verhüllen zu wollen.

Wie reagieren Vertreter der christlichen Kirchen?

Aus den Reihen der Orthodoxen gab es zum Teil scharfe Kritik. Ein Sprecher der russisch-orthodoxen Kirche sagte der russischen Nachrichtenagentur Interfax: "Wir müssen feststellen, dass die Sorgen von Millionen Christen nicht gehört wurden." Keine Reaktion gab es bislang vom Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel, Bartholomaios I., dem Ehrenoberhaupt der Weltorthodoxie, auf das Urteil. Zuletzt hatte sich Bartholomaios gegen die Umwandlung der Hagia Sophia in eine Moschee ausgesprochen.

Papst Franziskus sagte am Sonntag nach dem Angelus-Gebet auf dem Petersplatz lediglich, wenn er an das Wahrzeichen in Istanbul denke, empfinde er "großen Schmerz".

Der Religionsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Grübel (CDU), bedauerte die jüngsten Entwicklungen: "Das Gebäude hat eine tiefgreifende historische Bedeutung sowohl für das Christentum als auch für den Islam. Bei einer Statusänderung sollte es als Ort der Begegnung und des Austausches zwischen beiden Religionen dienen."

Ähnlich äußerte sich die Deutsche Bischofskonferenz. "Wir werben deshalb für eine politische Entscheidung, die die Einheit des Landes und das Gefühl der Zusammengehörigkeit von Muslimen und Christen stärkt, statt Bitterkeit zu schüren und Fliehkräfte zu begünstigen", sagte Sprecher Matthias Kopp.

Gibt es noch die Möglichkeit zu einem Kompromiss?

Danach sieht es momentan eher nicht aus. Erdogan drückt aufs Tempo. Dabei gab und gibt es durchaus Alternativvorschläge. Auf Twitter warb der armenisch-orthodoxe Patriarch von Konstantinopel, Erzbischof Sahak Masalyan, unlängst dafür, die einstige Kirche und spätere Moschee in ein Gotteshaus für Muslime und Christen zu verwandeln. Und manche Experten vertraten die Einschätzung, wonach Kemal Atatürk bei Einführung des musealen Status der Hagia Sophia langfristig ihre Umgestaltung zu einem "Weisheitstempel aller Religionen" im Sinn gehabt habe.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, schlug vor: "Können nicht Muslime und Christen im großen Gotteshaus jeweils ihren Gottesdienst beten?", schrieb er auf Twitter. Dies könne ein großes und einzigartiges Zeichen des gegenseitigen Respektes und eine Geste tiefen Religionsverständnisses sein. Im Hinblick auf den Dialog der Religionen und Völker könne Erdogans Entscheidung problematisch sein. Zugleich betonte er, die Hagia Sophia, wo über ein Jahrtausend gebetet wurde, sei kein Museum.


 

Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei / © Uncredited/Turkish Presidency/AP (dpa)
Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei / © Uncredited/Turkish Presidency/AP ( dpa )


 

Bartholomaios I. mit einem Mikrofon in der Hand / © Sascha Baumann (KNA)
Bartholomaios I. mit einem Mikrofon in der Hand / © Sascha Baumann ( KNA )


 

Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani (KNA)
Papst Franziskus / © Vatican Media/Romano Siciliani ( KNA )


 

Markus Grübel ist Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit / © Harald Oppitz (KNA)
Markus Grübel ist Beauftragter der Bundesregierung für weltweite Religionsfreiheit / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA
Mehr zum Thema