Alte Menschen sind während der Corona-Pandemie neu in den Blickpunkt gerückt - gelten sie doch als besonders schutzbedürftige "Risikogruppe". In Altenheimen galten deshalb zeitweise Besuchsverbote oder -beschränkungen. Über die Auswirkungen der Pandemie auf die häusliche Altenpflege ist hingegen bislang wenig bekannt. Einer am Dienstag veröffentlichten Umfrage zufolge hat sich bei der Pflege zu Hause während der Corona-Krise die Lage erheblich verschärft. Sowohl das Gefühl der Einsamkeit bei Pflegebedürftigen als auch die Belastung der pflegenden Angehörigen hätten stark zugenommen, heißt es in der Studie der Universität Mainz.
Pflegende erheblichen Belastungen ausgesetzt
Von den insgesamt 3,4 Millionen pflegebedürftigen Menschen in Deutschland werden laut Statistischem Bundesamt 2,6 Millionen zu Hause gepflegt - wobei ein Großteil der Pflege von Angehörigen geleistet wird. Dass sie erheblichen Belastungen ausgesetzt sind, ist schon länger bekannt. Die neue Studie zeigt nun "weitere Zuspitzungen in der häuslichen Pflege älterer Menschen während der Covid-19-Pandemie", so die Autoren.
Für die Umfrage wurden bundesweit 330 pflegende Angehörige online befragt; zusätzlich gab es einzelne ausführliche Interviews mit Personen dieser Stichprobe. Die Daten wurden vom 15. bis 19. Juni 2020 erhoben, also erst nach der Zeit der strengen Kontaktverbote. Der Altersdurchschnitt der Befragten lag bei rund 50,5 Jahren, jener der pflegebedürftigen Personen bei 81,6 Jahren. Meist waren die Pflegenden die Töchter oder Söhne sowie Schwiegertöchter oder -söhne.
"Unsere Ergebnisse zeigen, dass sich die ohnehin prekäre Situation der Altenpflege zu Hause unter den gegenwärtigen Umständen verschärft", sagte Sozialpädagogin Cornelia Schweppe. Einerseits habe die zeitliche Belastung durch die Pflege aufgrund von Corona zugenommen, andererseits seien Besuche von Verwandten, Bekannten oder Freunden bei der pflegebedürftigen Person in vielen Fällen deutlich verringert worden, hieß es.
Pflege belastender als vor der Corona-Pandemie
Die "stressige Betreuungssituation" spiegele sich in einer Verschlechterung der Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und pflegenden Angehörigen wider. 75 Prozent der Befragten gaben demnach an, dass ihre Beziehung zur pflegebedürftigen Person schlechter geworden sei - 33,8 Prozent berichteten von häufigeren Konflikten. Dies, so Studien-Mitautor Vincent Horn, sei besorgniserregend, weil eine hohe Belastung der Angehörigen "als wichtiger Faktor für Gewalt in der Altenpflege" gelte.
Mehr als die Hälfte der pflegenden Angehörigen (52 Prozent) empfindet die Pflege demnach als belastender als vor der Corona-Pandemie. 38 Prozent gaben sogar an, sich durch die aktuelle Betreuungssituation überfordert zu fühlen. Dass sich pflegende Angehörige zunehmend angespannt und überlastet fühlten, seien "alarmierende Ergebnisse", so die Studienautoren. Mehr als zwei Drittel der Befragten beobachteten zudem, dass Einsamkeit oder depressive Verstimmungen bei der pflegebedürftigen Person zugenommen hätten.
Vieldiskutiert wird derzeit das Thema der Einschränkung sozialer Kontakte zum Schutz von Pflegebedürftigen: 85 Prozent der Befragten gaben an, Besuche von Verwandten, Freunden und Bekannten bei der pflegebedürftigen Person reduziert zu haben. Darüber hinaus sagten 43 Prozent, dass sie selbst den Kontakt zur pflegebedürftigen Person eingeschränkt hätten.
Negative Auswirkungen von Corona
Fast die Hälfte der Befragten stellte negative Auswirkungen der Corona-Zeit auf den Gesundheitszustand der pflegebedürftigen Person fest: 60 Prozent berichteten, dass wichtige Arzttermine aufgrund der Corona-Pandemie nicht wahrgenommen werden konnten. 30 Prozent gaben an, dass auf notwendige Krankenhausaufenthalte verzichtet worden sei. Die medizinische Versorgung der pflegebedürftigen Personen sei damit "erheblich beeinträchtigt" worden, so die Studie.
Von der Politik fühlen sich zwei Drittel der Befragten nach eigenen Angaben "im Stich gelassen". Das sei auch deshalb schwerwiegend, so Schweppe, weil pflegende Angehörige oft keine tragfähigen Strukturen zur Unterstützung hätten. Fast jeder dritte Befragte habe keine Person, mit der er über seine Bedürfnisse und Anliegen sprechen könne.