Caritas kritisiert Arbeitsbedigungen für Pflegekräfte

"Das ist ein Feigenblatt"

Von den Balkonen kommt kein Applaus mehr für Pflegekräfte – in einigen Bundesländern gibt es Bonuszahlungen. Das reicht aber nicht, wenn die eigentliche Bezahlung schlecht bleibt, sagt der Kölner Caritasdirektor. 

Altenpflege in Corona-Zeiten / © Olena Yakobchuk (shutterstock)
Altenpflege in Corona-Zeiten / © Olena Yakobchuk ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie kann es denn sein, dass Menschen, die so eine hohe Verantwortung tragen, so schlecht bezahlt werden?

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasdirektor für das Erzbistum Köln): Das passiert, wenn man in solchen wichtigen Bereichen der Daseinsvorsorge ein freies Marktsegment schafft, in dem es für Investoren interessant ist, Geld herauszuholen. Das gilt ja gerade nicht für den gesamten Bereich der gemeinnützigen und auch unseren kirchlichen Einrichtungen. Wir nehmen keinerlei Mittel heraus, sondern legen alles um: Darum ist die Bezahlung in Caritas-Einrichtungen auch deutlich besser.

DOMRADIO.DE: Das Problem ist ja inzwischen auch bei der Politik angekommen: In einigen Bundesländern gab es Bonuszahlungen für Pflegekräfte. Ist das ein Anfang?

Hensel: Das ist ein Feigenblatt, wenn es das einmaliges Aufflackern einer Summe ist. Eigentlich muss diese bessere Ausstattung, diese klare, faire, tarifliche Entlohnung jeden Monat da sein. Die Prämie muss eigentlich eingepreist sein, so wie wir das auch in der Caritas halten.

DOMRADIO.DE: Die Bundesregierung bringt ja im Moment umfassende Konjunkturpakete auf den Weg: die Senkung der Mehrwertsteuer, die Rettung der Lufthansa etwa. Wundern Sie sich manchmal, für was alles Geld da ist und für was nicht?

Hensel: Zumindest ist jetzt deutlich geworden, was systemrelevant ist. Jedem stand es ohnehin irgendwie vor Augen, aber gleißender als jetzt konnte es ja kaum sein. Die Menschen, die sich auf keinen Fall zurückziehen dürften, weil sie uns wirklich in der Versorgungnot begegnen – in den Kitas, in den Krankenhäusern, in Beratungsstellen – all diese Menschen sind absolut nicht verzichtbar. Darum wurden sie ja auch "systemrelevant" genannt. Ihre Kinder durften als erste in die Versorgungseinheiten zurückgehen. Das war jetzt jedenfalls für alle augenfällig. Es ist schon so, dass wir uns als Gesellschaft in diesem System sehr viele Mittel leisten. Aber die Löhne liegen insgesamt unter denen der – sagen wir mal – klassischen Banker. Natürlich kann man sich da die Frage stellen, ob das richtig gewichtet ist. Ich meine: Nein.

DOMRADIO.DE: "Systemrelevanz verträgt sich nicht mit einem entfesselten Wettbewerb". Das sind Ihre Worte. Wie meinen Sie das?

Hensel: Wenn man in Systeme der Daseinsvorsorge - ich nenne jetzt mal Wasser, Strom, Gesundheitsversorgung, Altenhilfe, wichtige Beratungsstellen – privatwirtschaftliche Unternehmen mit einem ganz verständlichen, nachvollziehbaren Rendite-Interesse einziehen lässt, dann muss man irgendwo Geld herausholen aus diesen Systemen. Wo soll man denn das Geld herausholen, wenn nicht bei dem Teuersten, was es da gibt: nämlich den Menschen, die da arbeiten und deren Löhnen? Das heißt, man muss versuchen, im Schnitt weniger für sie ausgeben. Das ist dann etwas, was wir als Gesellschaft hineinstecken, was aber bei Privatinvestoren wieder herauskommt. Ich meine, dass das für solche Systeme der Daseinsvorsorge so passend ist wie unser gemeinnütziges Gemeinwohlsystem es ist, in dem solche Mittel gar nicht herausgezogen werden, sondern immer reinvestiert werden: entweder in die Löhne, sowohl in die Löhne als auch in die Gebäude und in die Qualität.

DOMRADIO.DE: Wie wäre so Ihre Botschaft an den Gesundheitsminister Jens Spahn kurz vor der Sommerpause?

Hensel: Lernen Sie wertschätzen, wer die wirklichen Partner in einer solchen Krise sind. Wir haben das auch gesehen, als es darum ging, Betten frei zu halten: Die, die dem gesellschaftlichen System verbunden sind haben das wesentlich beherzter getan als die, die mit Einkommen oder Investoren verbunden sind. Das heißt, wir brauchen für solche systemrelevanten Dinge, wie die Gesundheitsversorgung, eine hohe Wertschätzung des gemeinnützigen und des öffentlichen Sektors. 

Das Interview führte Tobias Fricke.

 

Dr. Frank Johannes Hensel (Diözesan-Caritasverband Erzbistum Köln)
Quelle:
DR