Manchmal, wenn Menschen dement sind, bleiben ihnen nur noch Kindheitserinnerungen. Sie besinnen sich auf alte Ideale, alte Lieder, alte Sitten. Wenn diese Menschen zwischen 1933 und 1945 aufgewachsen sind und von Pflegekräften betreut werden, die aus dem Ausland kommen oder einen Migrationshintergrund haben, kann das zum Problem werden und führt teilweise zu offenem Fremdenhass. Die einzige Form von Rassismus in der Pflege ist das aber nicht, wie Ulrich Rommel, Einrichtungsleiter eines Seniorenzentrums der Arbeiterwohlfahrt (AWO) in Ulm, erzählt. 2014 startete er daher in seinem Haus ein Projekt zur interkulturellen Öffnung der Pflege.
Ressentiments bis hin zu Ablehnung beobachte er manchmal auf Seiten der Bewohner und ihrer Angehörigen, sagt Rommel. Meistens seien es gängige Vorurteile, mit denen die Mitarbeiter konfrontiert werden. "Es haben auch schon Angehörige gesagt: 'Hier arbeiten ja gar keine Deutschen mehr'", berichtet er. Dazu kämen Aufforderungen an die Pflegekräfte, "wieder dahinzugehen, wo sie hergekommen sind".
Rassismus gibt es laut Rommel vereinzelt auch bei den Pflegerinnen und Pflegern. "Von diesen Mitarbeitern haben wir uns dann schnell getrennt", sagt er. Unter den Beschäftigten sei es ebenfalls vereinzelt zu Konflikten gekommen.
Keine Einzelfälle
Dass Rassismus in der Pflege nicht nur in Einzelfällen vorkommt, zeigt eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung aus dem Jahr 2018. Demnach gibt es verschiedene Hinweise auf eine benachteiligende Situation für Pflegekräfte mit Migrationshintergrund. Dies sei sowohl in der Zusammenarbeit im Kollegenkreis als auch in der Verteilung von Arbeitsaufgaben und in der sozialen Interaktion mit Bewohnern und deren Angehörigen erkennbar.
Nicht nur Pflegekräfte, auch Pflegebedürftige werden in rassistischer Weise benachteiligt. Manche von ihnen wenden sich dann an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Insgesamt 15 Prozent der Personen, die die Behörde zwischen 2013 und 2016 wegen Diskriminierung durch Ärzte und Pflegekräfte einschalteten, wurden aufgrund ihrer ethnischen Herkunft herabgesetzt. Dazu gehörten den Angaben der Anlaufstelle nach unter anderem Fälle, in denen Menschen wegen mangelnder Deutschkenntnisse benachteiligt oder wegen ihres Migrationshintergrundes mit Stereotypen versehen wurden. So gab eine pflegebedürftige Patientin an, nur aufgrund ihrer Hautfarbe bei einer ärztlichen Routineuntersuchung auf Drogen getestet worden zu sein.
Projekte gegen Rassismus
Wie sich Rassismus gegenüber Pflegebedürftigen vorbeugen lässt, zeigt das Modulhandbuch "Kultursensibilität im Gesundheitswesen".
Erstellt wurde es von Mitarbeitern der Katholischen Hochschule NRW, die an den Standorten Aachen, Köln, Münster und Paderborn vertreten ist. Kultursensibilität wird dort als "an der individuellen Lebenswelt und Lebensgeschichte ausgerichtete Beziehungsgestaltung" beschrieben.
Konkret leiten die Verfasser aus diesem Konzept verschiedene Module ab, die Pflegekräfte und andere Gesundheitsberufe für fremde Kulturen sensibilisieren sollen: Unter anderem sollen die Fachkräfte lernen, Patienten kultursensibel zu beraten und sich mit der interkulturellen Öffnung von medizinischen Einrichtungen auseinanderzusetzen.
Einen solchen Ansatz verfolgte auch die AWO-Einrichtung in Ulm. Erfolge hätten sich schnell eingestellt, sagt Leiter Rommel. Hätten sich zum Beispiel früher Mitarbeiter daran gestört, dass FSJler aus dem Ausland so viel Unterstützung bekommen, helfen sie ihnen heute im Alltag und beim Erlernen der Sprache.
An der Haltung der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen kann ein solches Projekt allerdings nichts ändern. Trotzdem habe es in seinem Haus seit zwei Jahren keine Beschwerden mehr von Pflegekräften gegeben, sagt Rommel. "Es ist inzwischen bekannt, dass wir ein interkulturelles Haus sind, das schreckt wahrscheinlich Menschen mit bestimmten Einstellungen von vorneherein ab."