Pfarrer hofft auf Frieden für Betroffene des Loveparade-Unglücks

"Es tut auch Duisburg gut, wenn man das nicht vergisst"

An diesem Freitag jährt sich die Loveparade-Katastrophe zum zehnten Mal. 21 Menschen starben während des Techno-Festivals in Duisburg, 541 wurden schwer verletzt. Pfarrer Jürgen Widera über die Trauer der Hinterbliebenen.

Autor/in:
Anita Hirschbeck
Kreuze an der Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade (Archiv) / © Martin Gerten (dpa)
Kreuze an der Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade (Archiv) / © Martin Gerten ( dpa )

KNA: Wie geht es den Angehörigen und Betroffenen des Loveparade-Unglücks heute?

Pfarrer Jürgen Widera (Ansprechpartner der Stadt Duisburg für die Betroffenen): Das ist sehr unterschiedlich. Manchen geht es nach wie vor schlecht, weil sie in eine Krise gestürzt sind, aus der sie sich nicht mehr befreien konnten. Das gilt sowohl für hinterbliebene Eltern als auch für Verletzte. Andere - gerade unter den Verletzten - haben das Unglück nach dieser langen Zeit verarbeitet. Die haben zum Beispiel Therapien gemacht. Wieder anderen ginge es besser, wenn sie nicht ständig an das Geschehene erinnert würden.

KNA: Wie meinen Sie das?

Widera: Das Loveparade-Unglück ist unabgeschlossen geblieben, insofern, dass es erst sehr spät einen Prozess gegeben hat. Da ist immer so eine Wunde offen geblieben. Die hat auch dazu geführt, dass der Wunsch nach einem Zusammenstehen am Gedenktag und nach Solidarität untereinander besonders groß gewesen ist.

KNA: Der Prozess ist im Mai eingestellt worden. Kann sich diese Wunde nun schließen?

Widera: Ich denke, man muss das differenziert betrachten. Der Prozess ist zwar ohne Urteil eingestellt worden, aber er hat ja Antworten geliefert auf Fragen, die immer wieder gestellt wurden: Wie konnte es zu dieser fürchterlichen Katastrophe kommen, und wo sind Verantwortlichkeiten dafür zu finden? Da hat das Gericht dankenswerterweise in einem recht umfassenden Maße Aufklärung geleistet. Die Leute, die in erster Linie eine Aufklärung wollten, haben viele Antworten auf ihre Fragen bekommen. Andere sagen, es könne nicht sein, dass niemand auch strafrechtlich verantwortlich ist. Die sind natürlich nicht zufrieden mit dem Ergebnis.

KNA: Glauben Sie, dass die erste Gruppe nun - nach Ende des Prozesses - die Möglichkeit hat, abschließen zu können?

Widera: Ich glaube, dass das zumindest dabei hilft. Ich habe über die ganzen Jahre erlebt, wie die Menschen immer wieder aufgewühlt wurden: Jahrelang hat die Staatsanwaltschaft ermittelt, man hat gewartet, was dabei herauskommt. Es wurde Anklage erhoben, doch dann hat das Gericht beschlossen, dass es keinen Prozess geben wird. Das hat damals unglaubliche Erschütterung ausgelöst. Da war das Gefühl da:

Wir bekommen keine Gerechtigkeit. Schließlich kam es doch zu einem Prozess. Diese ganze Zeit war nicht gerade hilfreich, um zur Ruhe zu kommen und in gewisser Weise abschließen zu können. Ich hoffe, dass auch die mediale Aufmerksamkeit bald nachlässt, damit die Opfer nicht immer wieder mit dem Unglück konfrontiert werden.

KNA: Wie wird es den Angehörigen und Betroffenen gehen, wenn diese Aufmerksamkeit weg ist?

Widera: Es wird manchen gut tun, das hoffe ich. Es wird aber auch sicherlich Opfer geben, die damit Schwierigkeiten haben werden. Wenn man zehn Jahre öffentlich in dieser Rolle gesehen wurde, dann wird es dem einen oder anderen schwer fallen, da herauszukommen.

KNA: Einen Gottesdienst zum Jahrestag wollen Sie aber weiterhin anbieten?

Widera: Ja, ein Gedenken wird es weiterhin geben, aber vermutlich nicht mehr in der Größenordnung wie bisher. Eltern aus dem Ausland haben uns signalisiert, dass sie nicht mehr jedes Jahr kommen können.

Wobei das Gedenken bereits in diesem Jahr nur eingeschränkt stattfinden wird wegen der Corona-Auflagen. Eltern mussten absagen, die sonst aus Australien oder China angereist sind. Ein Drittel der Eltern kommt ja aus dem Ausland. Deren Präsenz wird in diesem Jahr reduziert sein. Angesichts der Bedeutung eines runden Jahrestags ist das natürlich schade.

KNA: Wieso ist es wichtig, weiterhin an so einem Gedenken festzuhalten?

Widera: Einerseits sind die Gedenktage nach wie vor wichtig für die Betroffenen. Die Menschen haben auch nach langer Zeit ein Bedürfnis, sich immer mal wieder an den Verlust zu erinnern. Andererseits ist die Loveparade auch für die Stadt und die Bürger in Duisburg ein epochales Ereignis gewesen - im negativen Sinn. Ich glaube, es tut auch Duisburg gut, wenn man das nicht vergisst.

Das Interview führte Anita Hirschbeck.


Jürgen Widera (dpa)
Jürgen Widera / ( dpa )
Quelle:
KNA