75 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, des Holocaust sowie der Befreiung der Konzentrations- und Vernichtungslager besuchten hochrangige Vertreter des Zentralrates der Juden in Deutschland, des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gemeinsam die KZ-Gedenkstätte Auschwitz.
Sie nahmen auch an einer Gedenkfeier zum vom Europäischen Parlament initiierten Europäischen Gedenktag für Sinti und Roma am 2. August teil. Darin wurde an die rund 500.000 ermordeten Sinti und Roma in dem von den Nationalsozialisten besetzten Europa erinnert.
Warnung vor neuem Nationalismus
Die deutsche Delegation, die auch der Schoah gedachte, wurde geleitet vom Präsidenten des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, sowie dem Ratsvorsitzenden und der Synodenpräses der EKD, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm und Irmgard Schwaetzer.
Rose warnte in einer Ansprache vor einem neuen Nationalismus in Europa. "Der Holocaust an Sinti und Roma wie an Juden, die Massenmorde der Nazis in Europa, waren ein Zivilisationsbruch, ein Menschheitsverbrechen, der uns verpflichtet, heute gegen jede Form von Rassismus und Nationalismus unsere Stimme zu erheben", sagte er. Europa stehe angesichts eines "in vielen Ländern etablierten rassistischen Nationalismus" und eines "immer gewaltsamer werdenden Antiziganismus, Antisemitismus und Rassismus" vor großen Herausforderungen.
Schuster sagte, Auschwitz stehe "wie kein anderer Ort für die Schoa und damit für die Ermordung der Juden sowie der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten". Die Juden fühlten sich "der Gemeinschaft der Sinti und Roma zutiefst verbunden". Man müsse "gemeinsam einstehen für unsere Demokratie, die nie wieder in die Nähe einer menschenverachtenden Politik rücken" dürfe.
Kirchenvertreter: Jeder Form der Menschenverachtung entschieden entgegentreten
Auch die Kirchenvertreter unterstrichen die bleibende Verpflichtung, jeglicher Form der Menschenverachtung entschieden entgegenzutreten. "Der Besuch in Auschwitz als dem Ort eines beispiellosen Menschheitsverbrechens hinterlässt Fassungslosigkeit. Es wird nie zu begreifen sein, wie Menschen anderen Menschen so etwas antun können", sagte Bedford-Strohm. Umso wichtiger sei es, die Wurzeln von Antisemitismus und Antiziganismus zu ergründen, die zur Ermordung von Juden und Sinti und Roma in Auschwitz geführt hätten.
Der EKD-Ratsvorsitzende wörtlich: "Auch der jahrhundertealte christliche Antijudaismus - so müssen wir Christen voller Scham feststellen - hat den mörderischen Antisemitismus gefördert." Das gemeinsame Gedenken sei für ihn daher ein sehr berührendes Zeichen. Es bedeute für ihn, so Bedford-Strohm, ein "Verpflichtung, immer beherzt für die Überwindung aller Formen von Menschenfeindlichkeit und Menschenverachtung zu kämpfen und aktiv für Menschenwürde und Humanität einzutreten".
Präses Schwaetzer sagte: "Dieser Besuch wird mein Leben prägen - die Trauer um die Menschen, die hier gequält und ermordet wurden, die Trauer um all die ungelebten Leben."
Klagen über Mängel an der Erinnerungskultur
Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble unterstrich in einer Grußbotschaft die Selbstverpflichtung Deutschlands, "die Würde jedes Menschen zu wahren und zu schützen". Auf diesem Fundament fußten die freiheitliche Rechtsordnung Deutschlands und ihre Werte, die "immer wieder verteidigt" werden müssten.
Der vom Europäischen Parlament vor fünf Jahren zum Europäischen Roma-Holocaust-Gedenktag erklärte 2. August erinnert an die letzten 4.300 Sinti und Roma, die in dieser Nacht in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet wurden. Insgesamt starben in Auschwitz über 20.000 Sinti und Roma; insgesamt wurden im NS-besetzten Europa mehr als 500.000 Sinti und Roma Opfer des Holocaust.
Der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), beklagte Mängel in der deutschen Erinnerungskultur. "Es ist nach wie vor beschämend, dass wir in Deutschland viel zu wenig darüber wissen, was wir den Sinti und Roma während des Nationalsozialismus angetan haben", sagte Roth dem "Tagesspiegel am Sonntag".