DOMRADIO.DE: Wieso ist Ihnen die telefonische Corona-Seelsorge ein so großes Anliegen?
Erzbischof Heiner Koch (Erzbischof von Berlin): Aus verschiedenen Gründen: Zunächst einmal, weil wir aus Erfahrung wissen, wie groß der Bedarf nach sachlich guter, solider Information und Weitervermittlung ist. Das zeigt sich gerade da, wo die Beraterin und der Berater nicht direkt antworten können und nach einem Weg suchen, vertrauensvoll über Dinge sprechen können.
Wir hatten bisher, seit es diese Aktion gibt, 1.500 Anrufe. Ein Anruf hat im Durchschnitt 24 Minuten gedauert. Da sieht man, dass es nicht um kurze, knappe Informationen geht, sondern um das Aussprechen, Probleme angehen, angehört zu werden.
DOMRADIO.DE: In Schichten sind rund 50 ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von früh um acht bis Mitternacht erreichbar für alle, die Unterstützung brauchen. Mit welchen Themen melden sich die Menschen denn?
Koch: Es sind oftmals ganz kleine, unscheinbare Probleme. Die Berater erzählen mir, dass sich manche Anrufer dafür entschuldigen, dass sie diese bestimmte Frage überhaupt haben. Man denkt, eigentlich wäre alles klar, ist es aber nicht. Ein Beispiel ist die Frage, wo man überhaupt einen Corona-Test machen kann.
Oder die Frage: Was mache ich, wenn es darum geht, dass mein Sohn wieder zur Demonstration in Berlin geht. Kann ich ihn nicht davon abbringen?
Die Fragestellungen gehen weiter bis zur eigenen Unsicherheit: Ich habe Angst, dass ich angesteckt bin und traue mich nicht zum Arzt zu gehen, weil ich dann in Quarantäne muss.
Die längerfristigen Themen Arbeitslosigkeit und Familienkrise sind auch dabei. Es ist ein sehr breites Spektrum. Das verlangt von den Beraterinnen und Beratern sehr viel ab. Und oftmals ist das zunächst genannte Problem gar nicht das eigentliche.
DOMRADIO.DE: Die Gesprächsdauer der Telefonate wird offensichtlich immer länger. Menschen sehnen sich nach Seelsorge. Welche Verantwortung trägt die Kirche da?
Koch: Zunächst hat man gesagt, die Kirche sei in dieser Zeit nicht präsent gewesen. Wir haben für Berlin veröffentlicht, welche Erweiterung wir in der Seelsorge in Krankenhäusern und Altenheimen unternommen haben und wie offen unsere Kirchen und Ansprechpartner waren. Auch das Corona-Seelsorge-Telefon ist dabei ein Punkt.
Uns ist die konkrete Hilfe sehr wichtig. Gerade in einer Zeit, in der in den letzten Wochen permanent laut deklariert wird, dass die Medien voll mit dem Thema "Verschwörungstheoretiker" sind, diesen rechten und linken Demonstranten, die bei ihren Protesten keine Maske tragen oder denen, die sagen "wir feiern, egal, was es kostet".
Da ist es wichtig, dass solche stillen, kleinen, leisen Angebote mit großer Aufmerksamkeit und Achtsamkeit von der Kirche beigetragen werden. Denn die helfen den Menschen.
Das Plakative, das Demonstrative, wovon die Medien berichten, ist ja nicht das, was den Leuten vor Ort hilft. Wir helfen den Menschen, egal, in welcher Not sie sind.
DOMRADIO.DE: Jetzt haben Sie diese Demonstrationen schon angesprochen. Was würden Sie denen denn entgegenhalten, die jetzt auf die Straße gehen und sagen, das sei alles eine Riesenverschwörung, das Virus existiere gar nicht und man müsste jetzt auch keine Masken tragen und Abstand halten?
Koch: Ich bin nach einigen Gesprächen mit solchen Leuten skeptisch. Wer nicht lernen will und nicht aufmerksam sein will, der will es nicht sein. Da können Sie sagen, was Sie wollen. Sie können nur sachliche Argumente entgegenbringen. Und wenn einer sich dem verschließt, können Sie nichts machen.
Aber Sie können um Mitleid mit den Menschen bitten, die krank sind oder Angst vor der Krankheit haben. Auch wenn ich sage, ich kann mit meiner Gesundheit machen, was ich will. In dem Fall bin ich, oder der andere, die andere, betroffen. Sie wird von meinem Verhalten betroffen, sie wird von der Grundstimmung betroffen. Vielleicht stecke ich sie auch an.
Der einzige Appell, der meines Erachtens fruchtet, ist der an das Mitleid, also Mitleidensbereitschaft. Anderseits bin ich auch der Meinung, dass der Staat da, wo es notwendig ist, auch durchgreifen muss.
DOMRADIO.DE: Haben Sie persönlich Angst vor einem zweiten Lockdown?
Koch: Die Sorge habe ich schon. Ich glaube, dass wir das im Moment im Griff haben, auch mit den etwas angestiegenen Zahlen. Aber die Sorge ist zweifelsohne da. Das sehen Sie auch daran, dass wir uns als Kirche jetzt auf das nächste große Fest vorbereiten: Wie feiern wir Weihnachten?
Bei der ersten Welle standen wir vor der Frage: Wie feiern wir Ostern? Da standen wir unter sehr vielen Drucksituationen, rechtlichen Situation, Auseinandersetzungen über das, was möglich ist. Jetzt wollen und müssen wir uns auf Weihnachten vorbereiten. Weihnachten ist ein Gemeinschaftsfest. Und Weihnachten ist ein Fest, bei dem es ohne Singen nicht geht. Aber wie soll das gehen? Sie merken an dieser Frage auch, dass wir uns schon vorbereiten, weil wir das Virus ernst nehmen und davon ausgehen, dass es keine schnelle Entwarnung gibt.