Immanuel Kant ist in den Strudel der aktuellen Rassismusdebatte gerissen worden. Der große Philosoph der Aufklärung, der den Menschen uneingeschränkte Würde zusprach, sei ein Rassist gewesen, sagt der Kant-Experte Marcus Willaschek, und zwar "in dem Sinne, dass er Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe pauschal herabgesetzt hat". Zugleich verweist er darauf, dass Kant (1724 - 1804) zumindest in seinen späten Jahren Kolonialismus und Sklaverei abgelehnt habe.
Im Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) erläuterte der Philosophie-Professor an der Frankfurter Goethe-Universität, Kant habe eine Hierarchie der Rassen verteidigt. An deren Spitze stand die "Race der Weißen“, darunter die "gelben Indianer", die "Neger" und schließlich die "roten Indianer", "unfähig zu aller Cultur".
Zwar stünden solche Äußerungen nicht in den Hauptwerken des Königsbergers Philosophen wie der "Kritik der reinen Vernunft". "Dennoch ist es aus heutiger Sicht beunruhigend und beschämend, dass Kant diese Dinge gesagt hat", sagte Willaschek mit Blick auf die aktuelle Debatte, in der einige Wissenschaftler diese Ausführungen als vernachlässigbar abtun.
Menschenwürde – aber für wen?
Er gehe jedoch nicht so weit wie postkoloniale Kritiker, so Willaschek. Der Jamaikaner Charles Mills etwa argumentiere, Kant habe mit seinem Postulat der unantastbaren Würde des Menschen in Wirklichkeit "nur alle weißen Männer" gemeint. Das ganze Projekt der Aufklärung sei laut Mills letztlich ein Instrument der Unterdrückung von Menschen, die nicht weiß und männlich seien.
Kant spreche allen vernunftbegabten Wesen Würde zu. "Aber wer nun genau dazugehört - darüber sagt die Theorie erstmal nichts. Das führt dann schon bei kleinen Kindern oder geistig Kranken zu Problemen", sagte Willaschek.
Der Streit, ob Kant Rassist gewesen sei oder nicht, könne auch damit zusammenhängen, dass ältere Menschen bei dem Begriff vor allem an den Holocaust und die NS-Rassenideologie dächten, jüngere dagegen eher an Alltagsrassismus wie Racial Profiling. "Kant war sicher kein Rassist in dem Sinne, dass er ein Vordenker des Judenmordes gewesen ist", betonte der Philosoph.
Willaschek: Kant hätte es besser wissen können
Kant habe sich mit seiner Einschätzung von Menschen anderer Hautfarbe im Mainstream des 18. Jahrhunderts bewegt, erklärte er. Es sei aber keine Entschuldigung, dass Kant ein Kind seiner Zeit war. "Natürlich konnte er es besser wissen."
Kant, der seiner Zeit in so vielem voraus gewesen sei, hätte sich die Konsequenzen seiner Rassentheorie besser klarmachen und kritischer gegenüber seinen Quellen sein müssen. Denn der Philosoph, der fast sein ganzes Leben in Königsberg verbrachte, urteilte nur auf Grundlage von Reiseberichten.
Willaschek betonte, dass Kant sich scharf gegen den Kolonialismus und die Vorstellung gewandt habe, dass Europäer besiedeltes Land einfach in Besitz nehmen dürften. Äußerungen wie die, dass ein Mensch nicht Eigentum anderer Menschen sein könne, wiesen Kant auch als Kritiker der Sklaverei aus, "wenngleich man sich von ihm dazu noch deutlichere Aussagen gewünscht hätte".