Die Restaurierung war Wagnis und technische Herausforderung. Nun haben es die internationalen Experten fast geschafft: "Wo wir bislang nur eine schwarze Fläche sahen, zeichnen sich zwei Engel ab. Plötzlich können wir erkennen, dass Grünewald für verschiedene Figuren fein abgestufte Hauttöne wählte. Oder die unzähligen Variationen von Grün bei den Pflanzen. All' das war seit Jahrhunderten verborgen!"
Für die Direktorin des Unterlindenmuseums, Pantxika De Paepe, hat die fast abgeschlossene Restaurierung des Isenheimer Altars eine doppelte Herausforderungen gemeistert: Einerseits wurden die empfindlichen Farbschichten stabilisiert und so Skulpturen wie Malerei für die kommenden Generationen gesichert. Andererseits kann nach dem Abtragen von Lack- und Firnissschichten das Meisterwerk fast wieder so erlebt werden, wie es die Ausnahmekünstler Matthias Grünewald und Nikolaus von Hagenau vor einem halben Jahrtausend schufen.
Profekt erfuhr Gegenwind
Dabei erfuhr das größte Restaurierungsprojekt in der Geschichte des Isenheimer Altars zunächst heftigen Gegenwind. "Man hat uns vorgeworfen, die Altartafeln zu beschädigen, weil wir zu viele Lackschichten abnehmen oder zu aggressive Lösungsmittel benutzen", so De Paepe. Nach ersten Probereinigungen wurden die Vorarbeiten unterbrochen und noch mal von einem hochrangig besetzten wissenschaftlichen Kommission überprüft.
Letztlich gaben die Fachleute grünes Licht: Und die von Firnis befreiten Bildwelten, der auferstandene Christus, die Antonius in Versuchung führenden Höllenkreaturen oder die mild lächelnde Gottesmutter erstrahlen in ungewohnter Brillanz und Farbenvielfalt. "Erstaunlich ist auch die neue Tiefenwirkung der Malerei", so die Museumsdirektorin.
Auch die farblich gefassten Holzskulpturen des Nikolaus von Hagenau gewannen an Ausstrahlungs- und Farbkraft. Statt auf mattem Braun prangt nun die Pilgermuschel des Jakobus auf einer blau-silber schimmernden Pilgermütze. In den kommenden Wochen gehen die Restaurierungsarbeiten mit einem Gesamtetat von mehr als einer Million Euro auf die Zielgerade. Bis Ende September haben Museumsbesucher in Colmar Gelegenheit, Experten für Holzrestaurierungen bei den abschließenden Arbeiten an den Rahmen der Altartafeln zu beobachten. Die Reinigung der Skulpturen ist nahezu abgeschlossen.
Überraschende Entdeckung
Gerade haben die Holzrestauratoren Aubert Gerard und Jean Albert Glatigny eine überraschende Entdeckung gemacht. "Unter einigen Metallbändern, die den Rahmen verstärken, tauchten bislang unbekannte Pflanzenfasern auf. Wahrscheinlich wurden sie im 16. Jahrhundert genutzt, um das Holz der Rahmen vor dem Kontakt mit dem Eisen zu schützen", vermutet Glatigny. Die Fasern werden noch näher analysiert.
Für jeden Quadratzentimeter der garagentor-großen Rahmen sprechen die Restauratoren mit Museumsleiterin De Paepe das genaue Vorgehen ab. "Es geht darum, die richtige Balance zu finden. Wie mit Gebrauchs- und Altersspuren verfahren? Wie 'schön' muss oder soll der Rahmen aussehen? Und wie gehen wir mit früheren Ausbesserungen um?", so Gerard.
Antworten auf diese Fragen zu finden, ist Aufgabe der letzten Restaurierungsschritte bis Mitte 2021. So hinterließen vor dem Altar angezündete Kerzen an zwei Stellen Brandspuren. Diese "Beschädigungen" werden nicht einfach überpinselt, sondern sollen sichtbar bleiben, weil sie die Geschichte des Altars dokumentieren.
Auch dort, wo die Mönche des Isenheimer Antoniter-Klosters die Altarflügel auf und zu klappten, teils mit groben Metallstangen, hinterließen sie Gebrauchsspuren.
Als wichtiges Ergebnis der Analysen und Restaurierungen gilt die Erkenntnis, dass der Altar von Anfang an als Gesamtkomposition aller beteiligten Handwerker und Künstler gedacht war. Gemälde, Skulpturen und Rahmen entstanden Hand in Hand. Grünewald und die Helfer seiner Werkstatt bemalten die Lindenholztafeln, nachdem sie in den Rahmen fixiert wurden. Teilweise griff Grünewald, etwa beim Pavillon des Engelskonzerts, die Linienführung der Rahmen auf.
Anknüpfungspunkte zur Pandemie
Vielleicht liegt in diesem Ineinandergreifen ein Grund für die anhaltende Faszination des Altars. Schon im 16. Jahrhundert versuchten weltliche Herrscher den Altar aus Colmar wegzukaufen. Vergeblich. Selbst die Kriege des 20. Jahrhundertes - zwischendurch wurde der Altar von den deutschen Besatzern nach München gebracht - überstand das Meisterwerk und kam wieder nach Colmar zurück, ins für den Altar konzipierte Unterlinden-Museum.
Auch zur aktuellen Pandemie finden sich Anknüpfungspunkte. Denn das Bildprogramm richtete sich immer auch an Kranke, die in der Betrachtung des leidenden und mitfühlenden Christus Trost finden sollten. Der Antoniter-Orden, der den Altar für sein Kloster in Auftrag gab, war auf Pflege und Behandlung von Kranken spezialisiert. Zur Therapie gehörte es, Kranke vor den Altar zu bringen.
Jetzt hofft De Paepe vor allem, dass Corona nicht das für den kommenden Sommer geplante Museumsfest zum Ende der Restaurierung gefährden wird: "Wir wollen den Altar gebührend feiern. Und danach alle Arbeiten und Analysen in einer umfassenden Veröffentlichung dokumentieren."
Information: Die Restaurierung der Holzrahmen läuft bis Ende September. Abschließende Restaurierungsschritte sind im November sowie im ersten Halbjahr 2021 geplant. Museumsbesucher können den Experten jeweils zuschauen. - Unterlinden-Museum Colmar, Place Unterlinden, 68000 Colmar, Frankreich, www.musee-unterlinden.com. Mittwoch bis Montag 9 bis 18 Uhr, Dienstag geschlossen, 13 Euro, Kinder bis 12 Jahren frei.