DOMRADIO.DE: Herr Südhoff, Sie leiten das Center for Humanitarian Action, das humanitäre Hilfen analysiert und kritisch diskutiert. - In Syrien bestimmt Assad, ob und wo geholfen wird. Was bedeutet das für die humanitäre Hilfe?
Ralf Südhoff (Leiter des Center for Humanitarian Action, CHA): In Syrien zu helfen, ist noch schwieriger geworden als je zuvor. Das war schon immer eine große Herausforderung. Ich selbst war in der Region für die UN eine Weile zuständig für diese Hilfen. Man muss sich vorstellen, dass man gerade in Zeiten der Kämpfe und Konflikte permanent mit allen Beteiligten verhandeln muss, sodass die Regierung auf Listen herausgestrichen hat, welche Hilfsgüter nicht in eine Stadt kommen dürfen, weil sie beispielsweise sagen: Medizin kann ja auch Rebellenkämpfern helfen, weil sie damit versorgt werden oder ähnliches. Das war ein sehr, sehr großes Verhandeln. Man musste sehr, sehr viele Kompromisse, auch sehr unglückliche Kompromisse eingehen, in einer Grauzone. Und gleichzeitig ist es aber möglich, auch zurzeit 6,7 Millionen Menschen in Syrien zu helfen, die diese Hilfe auch wirklich brauchen. Das heißt, Sie kommen aus diesem Dilemma nicht raus, heißt dass Sie sich mit dieser Regierung so oder so arrangieren müssen.
DOMRADIO.DE: Was bedeutet das denn konkret? Was hat das für Folgen?
Südhoff: Wir haben ja jetzt eine Situation, wo in der Tat die Assad-Regierung den Krieg faktisch gewonnen hat; dadurch, dass vor fünf Jahren Russland eingegriffen hat. Mit Russlands Unterstützung beherrscht Assad weiteste Teile des Landes bis auf diesen Zipfel im Nordwesten, Idlib zur Türkei, und ein bisschen die kurdischen Gebiete im Osten. Das bedeutet, die gesamte Hilfe muss mittlerweile für alle weiteren Teile des Landes über Damaskus laufen und von Damaskus auch koordiniert und von der Regierung auch genehmigt werden. Und da haben Sie ein permanentes Geben und Nehmen. Die Regierung hat natürlich auch gewisse Interessen daran, dass der Bevölkerung geholfen wird. Aber sie versucht massiv zu beeinflussen, wem wie geholfen wird.
DOMRADIO.DE: Sie sagen, in Syrien wird seit fast zehn Jahren ausschließlich Nothilfe geleistet. Was heißt das?
Südhoff: Die humanitäre Hilfe per se ist insofern ein ganz besonderes und wichtiges Gut, weil sie so unparteiisch und neutral sein soll und muss, wie es geht. Gerade in solchen Kriegen und Konflikten ist es für Sie als Helfer, für uns als UNO, genauso wie zum Beispiel die Caritas, die als deutsche Organisation sehr viel hilft, ganz entscheidend, nicht zur Konfliktpartei zu werden. Und deswegen müssen Sie dann vor Ort so kurzfristige Nothilfe leisten, um wirklich nur Menschenleben zu retten und zu sagen: "Das ist ein Gebot der Menschlichkeit. Das hat mit Politik nichts zu tun". Das kann aber dazu führen, wenn eine Krise so lange dauert, dass sie feststellen, wir müssten eigentlich ganz anders helfen. Wir müssten eigentlich Schulen, ganze Städte wieder aufbauen, Krankenhäuser wieder aufbauen. Und das ist dann natürlich eine viel politischere Aufbauhilfe, eine Entwicklungshilfe, in der die Gefahr besteht, dass Sie diese Neutralität verlieren. Deswegen gibt es große "Bremser", die sagen, wir dürfen aus dieser reinen Nothilfe nicht hinauskommen, die aber gleichzeitig überhaupt nicht nachhaltig ist und sehr, sehr teuer.
DOMRADIO.DE: Wieso greift die internationale Staatengemeinschaft da nicht ein?
Südhoff: Welche Optionen hätte sie einzugreifen? Das eine wäre im Zuge des Konfliktes immer ein militärisches Eingreifen gewesen. Das ist natürlich umstritten, und das Thema ist im Grunde auch abgehakt. Wenn die internationale Staatengemeinschaft eingreifen wollte, dann könnte sie im Grunde nur die Hilfen stoppen oder die UN oder auch Hilfsorganisationen kein Geld mehr geben, wenn nicht exakt zu den Konditionen, die man möchte, die Hilfe geleistet werden kann. Das muss man aber zu Ende denken bei einer Regierung, die mit Chemiewaffen gegen die eigenen Menschen vorgegangen ist, die die Krankenhäuser in Oppositionsgebieten bombardiert hat. Da muss man bereit sein, auch diesen sechs, sieben Millionen Menschen, die man im Moment durchaus erreicht, in diesem ewigen Hin und Her keine Hilfe mehr zu geben, wenn man sich mit der Assad-Regierung nicht einigen kann. Das ist natürlich ein ganz großes Dilemma. Deswegen ist ja der Syrien-Krieg auch beispielhaft für die Herausforderungen, vor der die humanitäre Hilfe immer mehr steht, denn man droht die Hilfe zunehmend auch in Washington, Brüssel, London, zu politisieren und zu instrumentalisieren. Und da müssen wir sehr aufpassen, dass wir uns dagegen wehren können.
DOMRADIO.DE: Was glauben Sie denn, wie Lösungsansätze überhaupt aussehen können?
Südhoff: Es gibt schon Ansätze, zu sagen: Sollte man nicht einen Schritt gehen, was man manchmal Rehabilitation nennt? Also sollte man nach zehn Jahren doch bereit sein, dass man nicht mehr Wasserkanister permanent in Dörfer fährt, sondern die Wasserleitungen wieder repariert. Dass man die Schulen repariert, damit die Kinder nicht mehr in immer wieder zu erneuernden Zelten unterrichtet werden müssen. Dass man wieder Gesundheitsstationen aufbaut... Diese Basis-Infrastruktur könnte man wieder erneuern, um nicht immer wieder dieselbe Nothilfe leisten zu müssen. Das wäre ein Schritt, aber auch der ist natürlich damit behaftet, dass sich das noch mehr missbrauchen und politisieren lässt von der Regierung und sich selbst zuschreiben lässt. Aber womöglich ist das eine Grauzone, in die man sich jetzt begeben muss. Die Assad-Regierung hat den Krieg gewonnen. Das wird sich nicht mehr ändern und früher oder später wird man eine andere Hilfe leisten müssen.
Das Interview führte Verena Tröster.