Eine Ausstellung zum Mitfühlen im Kunstmuseum Münster

"Große Emotionen haben derzeit Konjunktur"

​Der magere Torso des toten Jesus - ohne Kopf und mit dunklen Löchern statt der Arme - oder eine Momentaufnahme mit Trumps aggressiver Gestik: Eine Ausstellung geht dem Thema Kunst und Gefühle nach.

Trumps Wut: Auch ein Kunstobjekt / © Evan El-Amin (shutterstock)
Trumps Wut: Auch ein Kunstobjekt / © Evan El-Amin ( shutterstock )

Wer erinnert sich nicht an die Szene, als US-Präsident Donald Trump an die Gefühle seiner Anhänger appellierte und behauptete, er könne mitten auf New Yorks Fifth Avenue jemanden erschießen und würde trotzdem keine Wähler verlieren? Martha Roslers hochaktueller Digitaldruck "Point and shoot" hält den Moment mit Trumps aggressiver Gestik und Mimik fest. Das Werk findet sich in der Ausstellung "Passion Leidenschaft. Die Kunst der großen Gefühle", mit der Münsters Museum für Kunst und Kultur ab Freitag mit 200 Exponaten erstmals einen Bogen bis in die heutige Zeit schlägt - vom Kindermord in Bethlehem bis zur auf Instinkten statt Argumenten bauenden Propaganda des US-Präsidenten.

"Große Gefühle haben derzeit Konjunktur, wenn Sie nur an die Corona-Leugner und Verschwörungstheoretiker denken", erklärt der Direktor des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL), Mathias Löb, am Dienstag bei der Vorstellung der Schau. "Aktueller könnte ein Ausstellungsthema kaum sein." Der LWL ist Träger des Museums, das die Schau bis 14. Februar 2021 zeigt.

Gefühle bestimmen das Leben

Starke Gefühle sind tatsächlich so alt wie die Menschheit selbst. Sie bestimmen das Leben, beeinflussen Denken und Handeln. Sie sind absolut zeitlos und werden jahrhundertelang auch mit denselben Stilmitteln dargestellt. "Die Kunst vermag Leidenschaften am intensivsten zum Ausdruck zu bringen", erläutert Museumsdirektor Hermann Arnhold. "Deshalb laden wir alle ein, mitzufühlen mit dem, was Sie hier sehen."

In sechs Kapiteln erzählt die Ausstellung von Freude und Trauer, Hingabe und Angst, Liebe und Hass und zeigt beispielhaft, wie sich diese Gefühle in der Körpersprache, also in Gestik und Mimik, niederschlagen. Am Beginn steht als Hingucker eine Kopie der Laokoon-Gruppe. Die Skulptur in den vatikanischen Museen zeigt den Todeskampf Laokoons und seiner Söhne und prägte jahrhundertelang das Bild von Trauer und Schmerz in der Kunst. Im zweiten Teil der Schau werden Kunstwerke von der Antike bis in die Gegenwart mit Quellentexten verknüpft und zu Kunsttheorien in Beziehung gesetzt, Dabei zieht die Rekonstruktion einer antiken Theatermaske besondere Aufmerksamkeit auf sich. Auch die Darstellung des bethlehemitischen Kindermordes aus der Werkstatt von Peter Paul Rubens führt dem Besucher die ganze Dramatik menschlicher Affekte vor Augen.

Liebesfreud und Liebesleid

Herzstück der Schau ist der dritte Raum zu Liebesfreud und Liebesleid, in dem Eros und körperliche Liebe, aber auch Eifersucht, Schrecken, Verzweiflung und sexuelle Gewalt in den Blick genommen werden. Eine Ausstellung zum Thema "Passion" aber wäre unvollständig, würde sie nicht die Passion Jesu Christi und deren Widerhall in der Kunst berücksichtigen. Besonders krass, ja geradezu schockierend und provokativ wirkt die 2007/2008 entstandene Pieta der Künstlerin Berlinde de Bruyckere, die die nackte, magere Gestalt des toten Jesus ohne Kopf und mit dunklen Löchern statt der Arme völlig einsam und verlassen auf einem weichen Federkissen zeigt. Kaum weniger drastisch und eindrucksvoll ist der aus Lindenholz geschnitzte, 1697 im Alpenraum entstandene "Christus an der Geißelsäule".

Raum fünf ergründet die Bedeutung von Gefühlen im politischen Kontext, etwa beim Kniefall Willy Brandts im Warschauer Ghetto oder beim Bruderkuss von Leonid Breschnew und Erich Honecker. Der letzte Raum versammelt Selbstporträts von Künstlern - Spiegel ihres eigenen Seelenlebens. Zugleich können die Besucher auch ihre eigenen Gefühle untersuchen: Die sogenannte "Leidenschaftskurve" fragt ab, ob gerade Liebe, Hass, Gelassenheit oder Wut überwiegen.

Nachdenklich macht die Station zur Gesichtserkennung am Schluss: Sie analysiert mit Hilfe eines Bildschirms die Mimik der Besucher und übersetzt sie in Gefühle. Dazu meint die Kuratorin der Ausstellung, Petra Marx: "Auf manche könnte es durchaus erschreckend wirken, was das Gerät zutage fördert."

Gerd Felder


Quelle:
KNA