Seit den 1990er Jahren verspricht die Präimplantationsdiagnostik (PID), Anomalien im Erbgut von Embryonen vor einer Einpflanzung in die Gebärmutter zu erkennen. Mit der wachsenden Erforschung von Krankheiten wuchs die ethische Brisanz:
Kritiker sehen in der PID eine Bewertung des Lebens nach Gesundheitskriterien und in der Konsequenz eine Selektion. Daher hat der Gesetzgeber den Zugang beschränkt. Die Diagnostik soll ausschließlich zur Vermeidung von schweren Erbkrankheiten, Tot- oder Fehlgeburten zulässig sein. Über den Zugang entscheiden bundesweit fünf PID-Ethikkommissionen. Wie weit aber reicht ihr Beurteilungsspielraum?
Darum geht es bei der Klage einer Frau gegen eine Entscheidung der Bayerischen Ethikkommission für Präimplantationsdiagnostik, über die das Bundesverwaltungsgericht am Mittwoch in einer mündlichen Verhandlung entscheiden will. Die Zahl der in Deutschland durchgeführten PIDs nimmt stetig zu. Laut jüngstem Bericht der Bundesregierung nahmen die zehn zugelassenen PID-Zentren 2018 insgesamt 315 Diagnostiken vor. Dabei genehmigten die Ethikkommissionen insgesamt 319 Anträge und lehnten 23 ab. Wobei die Ablehnungen fast ausschließlich von der Ethikkommission Bayern ausgesprochen wurden.
Wann ist eine PID erlaubt?
Der anstehende Fall richtet sich gegen eine solche Entscheidung des bayerischen Gremiums, das der Klägerin im März 2016 die Zustimmung zur Durchführung einer PID verweigert hatte. Die Entscheidung der acht Sachverständigen fiel dabei einstimmig. Zur Begründung verwiesen sie auf das Embryonenschutzgesetz (ESchG).
Demnach ist eine PID nur dann erlaubt, wenn aufgrund der genetischen Disposition für die Nachkommen "das hohe Risiko einer schwerwiegenden Erbkrankheit" besteht. Eine Erbkrankheit sei schwerwiegend im Sinne des Gesetzes, wenn sie sich durch eine geringe Lebenserwartung oder Schwere des Krankheitsbildes und schlechte Behandelbarkeit von anderen Erbkrankheiten wesentlich unterscheide, machte die Ethikkommission geltend.
Kein Erfolg in Vorinstanzen
Im vorliegenden Fall geht es um eine vererbbare Erkrankung des voraussichtlichen Kindsvaters, der an der Muskelkrankheit "Myotonen Dystrophie Typ 1" leidet. Dabei bestehe eine Krankheitswahrscheinlichkeit von 50 Prozent, und sie sei bei einer ganz beachtlichen Zahl der Patienten erst im höheren Lebensalter erkennbar, argumentierten die Ethiker. Bei einer Vererbung über den Vater bestehe daher nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass bei Nachkommen im Kindesalter eine schwere Form des Krankheitsbildes vorliege.
Die Klägerin war bereits in den Vorinstanzen erfolglos. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof bestätigte die Rechtmäßigkeit der Entscheidung 2017. Er ließ aber eine Revision zu, weil die Frage, welcher Maßstab für die Einstufung einer Erbkrankheit als schwerwiegend im Sinne des Embryonenschutzgesetzes anzulegen ist und ob der Ethikkommission dabei ein Beurteilungsspielraum zusteht, "von grundsätzlicher Bedeutung ist".
Urteil über den Wert von Leben soll vermieden werden
Angesichts der Tragweite einer PID-Diagnostik für den Einzelnen hatten Beobachter mit der wachsenden Zahl an Entscheidungen der Ethikkommissionen erwartet, dass es zu einer solchen Klage kommen werde. Dabei stehen die Kommissionen durchaus im regelmäßigen Austausch, auch um eine gewissen Einheitlichkeit der Entscheidungen zu gewährleisten. Dennoch lassen sich angesichts der Komplexität der Fälle Wertungsunterschiede kaum vermeiden.
Der Gesetzgeber hat die Kommissionen aber nicht nur eingesetzt, um dem Einzelfall gerecht zu werden. Er wollte vor allem eines vermeiden: durch eine positive Liste an Erbkrankheiten, bei denen eine PID erlaubt wäre, eine rechtliche Entscheidung über den Wert von Leben zu treffen und damit faktisch eine Selektion.
Wie das Gericht nun entscheidet, ist offen. Es könnte den Entscheidungsspielraum der Kommissionen bestätigen oder eine Präzisierung der Vorgaben verlangen, was unter einer schweren Erbkrankheit genauerhin zu verstehen ist. Im äußersten Falle könnten die Richter aber auch vom Gesetzgeber das verlangen, was dieser gerade mit der Einsetzung der Kommissionen vermeiden wollte.