DOMRADIO.DE: Wie ist die Situation in Ihrer Heimat?
Pfarrer Dr. Viktor Anoka (Pfarrer in Nigeria): In Nigeria wird das nicht so ernst genommen wie zum Beispiel hier in Deutschland. Corona ist nicht das aktuellste Problem, das man in Nigeria hat. Es gibt andere Themen, die uns beschäftigen. Corona scheint nicht so problematisch zu sein wie zum Beispiel Malaria. Man hat sowieso früher Probleme mit Malaria gehabt. Das Immunsystem der Menschen in Nigeria ist stärker.
DOMRADIO.DE: Viele Menschen in afrikanischen Ländern leiden auch unter Armut, Hunger und Terror. Dann kommt noch die Pandemie dazu. Inwiefern verstärkt das die Situation und die Probleme der Menschen?
Anoka: Mit dem Lockdown haben viele Menschen zum Beispiel Probleme, etwas zu essen zu kriegen. Viele Menschen in Nigeria sind Tagelöhner. Sie müssen jeden Tag das verdienen, was sie zum Leben brauchen. Und wenn man ihnen sagt, dass sie zu Hause bleiben sollen, ohne vorher dafür zu sorgen, dass sie auch etwas zu essen und zu trinken haben, ist das meistens schwierig.
DOMRADIO.DE: Das wird wahrscheinlich dann auch nicht eingehalten?
Anoka: Genau. Aber im öffentlichen Verkehr gibt es die Möglichkeit, dass man mit Masken unterwegs ist, weil die Regierung das fordert. Die Schulen hat man auch geschlossen, damit sich das Virus nicht so weit verbreitet. Aber die eigenen, die privaten Geschäfte zu schließen, war nicht möglich, weil die Menschen jeden Tag raus mussten.
DOMRADIO.DE: Die Pandemie hat Afrika auch mit einer zeitlichen Verzögerung erreicht. Es sah zeitweise so aus, als seien afrikanische Länder von der Corona-Pandemie weniger betroffen als Europa oder die USA. Kommt Afrika vielleicht glimpflicher davon, als viele das befürchten?
Anoka: Ich denke schon, weil man schon von den anderen Ländern gelernt hat, wie man damit umgehen kann. Man hat früher angefangen, Maßnahmen einzuführen. Die Regierung in Nigeria hat zum Beispiel das Resien sehr gut geregelt. Bevor man abreist verpflichtet man sich, einen Corona-Test zu machen. Und wenn man in Nigeria ankommt, muss man nach sieben Tagen auch einen Test machen, um sicherzustellen, dass man nicht infiziert ist. Die Zahl der Infizierten in Nigeria liegt momentan laut Statisten bei 62.000. Man sagt sogar, dass 58.000 geheilt wurden und man spricht von 1.200 Toten. Das ist relativ okay.
DOMRADIO.DE: Wird denn viel getestet?
Anoka: Es wird kaum getestet. Man muss auch wissen, dass wir von einem Land reden, das keine Krankenversicherung hat. Die Teststellen sind nicht so verbreitet. Nur diejenigen, die unbedingt getestet werden müssen, werden getestet. Ich würde sagen, dass die meisten der Bevölkerung nicht getestet werden.
DOMRADIO.DE: Sie haben Ihre Familie in Nigeria seit März nicht gesehen. Wie geht es Ihnen, wenn Sie mit denen sprechen? Wissen Sie schon, wann Sie Ihre Familie wiedersehen können?
Anoka: Ich habe vor, im Januar wieder in der Heimat zu fliegen, wenn alles nach Plan läuft. Ich spreche fast jeden Tag mit meiner Familie und versuche auch Ihnen die Ernsthaftigkeit dieser Krankheit oder dieses Virus zu verdeutlichen, damit sie wissen, dass es wirklich ernst genommen werden sollte. Aber sie sagen mir auch immer wieder: Es gibt kein Corona in Nigeria, die Regierung möchte nur Geld kassieren. Aber ich habe Ihnen gesagt: Es ist wirklich ernst zu nehmen, weil es so viele Leben genommen hat.
DOMRADIO.DE: Gibt es auch die Angst, dass die Fundamentalisten die Corona-Krise nutzen könnten, um Länder gezielt zu destabilisieren?
Anoka: Das wäre auch eine Möglichkeit, ja. In Nigeria machen wir uns momentan ehrlich gesagt keine Sorgen um Corona, sondern eher um diese Themen, für die zum Beispiel die Jugendlichen jetzt in Nigeria auf die Straße gehen. Seit drei Wochen gehen sie auf die Straße, weil sie eine Verbesserung im Land sehen wollen.
Und die Politiker haben uns wirklich enttäuscht. In Nigeria ist es so, dass vieles, was eigentlich in Ordnung sein sollte, nicht der Fall ist. Und man versucht jetzt, Veränderungen herbeizuführen. Sie wollen nur überleben. Sie wollen Arbeit haben. Die Nigerianer sind wirklich stark, wenn es darum geht zu arbeiten. Und sie wollen, dass die Regierung ihnen die Möglichkeit gibt zu arbeiten, ihr Leben in Sicherheit zu leben und zu führen und das Beste aus ihrem Leben zu machen.
Das Interview führte Dagmar Peters.