Der Hamburger Historiker Thomas Großbölting hält eine Missbrauchsaufarbeitung in der katholischen Kirche nur durch Juristen für unzureichend. "Das ist eine eingeschränkte Sicht der Dinge, die für das Bemühen um Aufarbeitung nur einen kleinen Teil beiträgt", sagte der Historiker dem "Kölner Stadt-Anzeiger" (Mittwoch).
Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki hatte am Freitag die Zusammenarbeit mit einer Münchner Kanzlei gestoppt, weil deren Studie über mögliches Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen angeblich methodisch fehlerhaft sei. Zudem beauftragte Woelki eine neue Sozietät mit der Untersuchung.
Historiker beteiligen
Für das Bistum Münster leitet Großbölting ein eigenes Forschungsprojekt zum Umgang der Bistumsleitung mit Fällen sexualisierter Gewalt. "Das Kerngeschäft des Historikers besteht darin, Vergangenheit aufzuarbeiten. Da haben wir eine ganz andere Expertise als Juristen, die sich auf die Frage nach der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit menschlichen Verhaltens konzentrieren", so der Historiker.
Das auf zweieinhalb Jahre angelegte Projekt an Großböltings früherer Wirkungsstätte an der Universität Münster wird nach seinen Angaben vom Bistum Münster mit 1,3 Millionen Euro finanziert. Daran arbeiten ein Kernteam aus vier Historikern und einer Ethnologin.
Etablierte Standards
Zu der umstrittenen Frage nach Aussagen über noch lebende Verantwortungsträger verwies Großbölting auf "längst etablierte Standards", wie sie etwa im Stasi-Unterlagengesetz vorlägen. Auch hier sei es um ein doppeltes Interesse gegangen: dem Aufklärungsinteresse nachzukommen und zugleich die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu wahren.
Der Historiker kündigte an, Verantwortlichkeiten von "relativen Personen der Zeitgeschichte" wie Bischöfe, Generalvikare oder Personalchefs in seinem Gutachten klar zu benennen, gegebenenfalls verbunden mit deren eigenen Einlassungen.
Mögliche Gründe?
Seine Untersuchungen ließen erste Charakteristika zum Vorgehen der Bistumsleitung erkennen, sagte Großbölting. Die "bischöfliche Fürsorge" habe sich "lange Zeit immer zuerst auf den Täter" gerichtet. "Dabei geht es darum, die priesterliche Existenz des Mitbruders zu erhalten." Dahinter stecke die Vorstellung vom besonderen Wert des geweihten Priesters.
"Diesen Status des Einzelnen", so der Wissenschaftler, gelte es für die Kirche "aufrechtzuerhalten, weil daran zugleich die Sakralität des Systems hängt"; dies sei "lange Zeit die Denke der Bistumsleitung" gewesen. Großbölting wörtlich: "Und ich vermute schwer, was wir für Münster feststellen, wird in Köln nicht anders gewesen sein."