DOMRADIO.DE: Donald Trump zeigt sich unheimlich siegessicher, auch in den sozialen Medien. Mit was für einem Gefühl blicken Sie aktuell auf die Wahl?
Andreas Georg Weiß (Theologe und USA-Experte): Es ist jetzt tatsächlich das eingetreten, was sich einerseits die Demokraten nicht gewünscht haben, aber auch andererseits viele internationale Beobachter befürchtet hatten.
Man wollte vonseiten der Demokratischen Partei eigentlich den Sack zumachen und so einen großen Vorsprung herausholen, das es nicht auf der Auszählung der Briefwahlstimmen ankommt, die von Donald Trump bereits vor der Wahl infrage gestellt wurde. Nun sieht es so aus, dass es ein Kopf-an-Kopf-Rennen bleibt. Es wird auf diese Briefwahlstimmen in einigen Bundesstaaten hinauslaufen. Und man merkt jetzt schon, dass sich die Eskalationsstufe langsam nach oben dreht.
DOMRADIO.DE: Trump kündigt sogar an, vor das Oberste US-Gericht zu ziehen, um eine weitere Auszählung der Briefwahl zu stoppen. Wie bewerten Sie das mit Blick auf die Demokratie?
Weiß: Tatsache ist, dass die Briefwahl in den USA natürlich auch erlaubt und verfassungsrechtlich verankert ist. Die Frage ist aber doch, wie mit den Stimmen in den einzelnen Bundesstaaten umgegangen wird. Donald Trump attackiert vor allem den Zeitpunkt der Auszählung, also, dass sie noch lange danach ausgezählt werden können und dass vielleicht auch noch Stimmen gezählt werden, die später eingetroffen sind.
Das wird alles von den Bundesstaaten sehr unterschiedlich geregelt. Es gibt Bundesstaaten, in denen die Briefwahlstimmen erst explizit nach den "In-Person Ballots" (persönliche Stimmzettel, Anm. d. Red.) ausgezählt werden. Hier hat man sehr unterschiedliche Regelungen. Ich persönlich halte es für sehr fraglich, dass der Supreme Court, der Oberste Gerichtshof, hier zu einem gesamtamerikanischen Urteil kommen würde, das die Briefwahl stoppen würde.
DOMRADIO.DE: Schauen wir mal auf die Einschätzung der Kandidaten Ihrerseits. Sie schreiben auf Twitter: Mit Biden wird "nicht alles wieder schön und gut" und mit Trump "wird die Welt nicht untergehen." Wie ist das zu verstehen?
Weiß: Ich bezog mich mit meinem Tweet auf ein Interview mit Jean-Claude Juncker. Aber in meinem Buch von 2019 habe ich eine ähnliche These aufgestellt. Auch wenn Donald Trump jetzt abgewählt werden würde, könnten die USA nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen. Man darf nicht vergessen, dass sich die USA in einer enormen Krise befinden.
Donald Trump hat die USA mit seiner Art Politik zu betreiben und seinen Personalentscheidungen für die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, geprägt. Auch ein mutmaßlicher Präsident Joe Biden könnte nicht einfach in einem luftleeren politischen Raum seine Reformen durchbringen. Es wäre nicht einfach das Ende der Corona-Pandemie oder der Wirtschaftskrise, wenn Donald Trump tatsächlich abgewählt würde.
DOMRADIO.DE: Sie sind Theologe. Biden wäre der erste katholische US-Präsident seit Kennedy. Aber nur, weil er selber Katholik ist, heißt das ja nicht automatisch, dass er allen katholischen Wählerinnen und Wählern auch sympathisch ist. Oder wie schätzen Sie das ein?
Weiß: Das ist richtig. Seit der Wahl von John F. Kennedy 1960 hat sich einiges getan. Die USA sind zwar, wenn man sich die religionspolitische Landschaft ansieht, von den Katholikinnen und Katholiken insofern geprägt, dass es mit stabilden 20, 21 Prozent die größte geschlossene Kirchengemeinschaft ist. Aber dennoch sind die katholischen Gläubigen auch sehr polarisiert.
Die Art und Weise, wie Joe Biden in der Abtreibungsfrage Politik macht, stößt vielen sauer auf. Er ist ja ein bekennender Anhänger der Pro-Choice-Politik, also der Legalisierung der Abtreibungsmöglichkeit. Auch sehr viele katholische Bischöfe haben im Vorfeld der Wahl signalisiert, dass ein Katholik oder eine katholische Gläubige doch nicht Joe Biden wählen und damit quasi die Legalisierung der Abtreibung unterstützen könnte.
Aber es gibt natürlich im katholischen Spektrum auch Bischöfe, die dagegen argumentiert haben, wie etwa Kardinal Tobin, der gesagt hat, dass Gläubige selbstverständlich auch Joe Biden wählen könnten. Man sieht hier, dass die katholische Kirche auch in den USA sehr umkämpft ist und sehr polarisiert, um nicht zu sagen gespalten ist.
DOMRADIO.DE: Wie wir es ausgehen? Haben Sie eine Prognose?
Weiß: Zurzeit sieht es doch sehr danach aus, dass Donald Trump sich sehr wichtige Bundesstaaten sichern konnte. Es wird jetzt sehr vieles davon abhängen, ob die Demokraten, die im Mittleren Westen die sogenannte "Blue Wall", also Michigan, Wisconsin und Minnesota, halten können. Es sieht auch sehr viel danach aus.
Ich persönlich glaube, dass es wirklich auf die Auszählung der Stimmen in Pennsylvania ankommt und darauf, wie die Briefwahlstimmen dort gezählt werden.
Das Interview führte Verena Tröster.
Anmerkung der Redaktion: Das Interview mit Andreas Georg Weiß führten wir um 8.10 Uhr mitteleuropäischer Zeit.