DOMRADIO.DE: Freut sich Papst Franziskus über die Wahl des Katholiken Joe Biden zum Präsidenten?
Ulrich Nersinger (Vatikanexperte): Ich könnte mir schon vorstellen, dass das ist für ihn eine eher angenehme Nachricht ist. Denn wir haben bei Trumps letztem Staatsbesuch erlebt - wenn wir uns die Bilder angeschaut haben - dass Franziskus nicht so sehr erfreut war. Man konnte das deutlich an seiner Mimik feststellen.
DOMRADIO.DE: Was denken Sie, wie wird die Beziehung aussehen mit Biden und dem Heiligen Stuhl?
Nersinger: Das ist eine sehr schwierige Einschätzung. Es gibt eindeutig Punkte, die das Material für eine Belastung bieten. Da ist die Abtreibungsfrage. Hier haben wir mit Biden jemanden, der sich im Wahlkampf nicht dagegen positioniert hat, im Gegensatz zu Trump. Da gibt es wahrscheinlich Diskussionsbedarf.
Ich denke, auf anderen Gebieten wird das vermutlich eher eine enge und sehr positive Entwicklung geben. Aber was gewisse Dinge, wie die Abtreibungsfrage angeht, denke ich, werden wir doch wirklich auf eine spannende Zeit schauen.
DOMRADIO.DE: Dabei hat die Beziehung zwischen den USA und den Päpsten eine interessante Geschichte. Zur Beerdigung von Papst Johannes Paul II. kamen die Präsidenten George Bush, Bill Clinton und George W. Bush extra nach Rom. Hatten diese Präsidenten ein besseres Verhältnis zum Papst?
Nersinger: Ja, und das obwohl Papst Johannes Paul II. sich sehr energisch gegen den zweiten Irak-Krieg gewandt hatte und es dadurch zu einer leichten Verstimmung kam. Aber man hat im Weißen Haus trotzdem gesehen, dass man mit Johannes Paul II. eine Figur der Weltgeschichte vor sich hatte und dass es sehr viele positive, gemeinsame Punkte gab.
DOMRADIO.DE: Die Gründerväter der USA gehörten protestantischen Kirchen an. Warum hat die katholische Kirche da keine Rolle gespielt?
Nersinger: Sie hatte in den Augen der Oberschicht und der politisch Verantwortlichen eine sehr negative Rolle. John Adams, der zweite Präsident Amerkias, hat einmal gesagt, eine freie Regierung würde sich in ihrer Existenz mit einer römisch-katholischen Kirche sehr, sehr schwer tun. Das hat dazu geführt, dass es zunächst so gut wie keine diplomatischen Beziehungen gab.
Dann hat man zu einem Trick gegriffen, denn man wollte natürlich trotzdem mit Rom in Kontakt bleiben - oder kommen - und hat dann den Weg über konsularische Beziehungen gewählt. Einer, der sich dafür stark eingesetzt hat, war Benjamin Franklin. Und so kam es zu den ersten diplomatischen Beziehungen zu Rom. Aber immer nur, und zwar noch weit über 100 Jahre lang, über die konsularischen Beziehungen zu den "Päpstlichen Staaten" und nicht zum Heiligen Stuhl selber. Die "Päpstlichen Staaten", oder der "Kirchenstaat", waren ein autonomes Staatsgebiet in Mittelitalien, das dem Heiligen Stuhl unterstand.
DOMRADIO.DE: In den USA gibt es auch sehr viele Auswanderer aus dem katholischen Irland. Haben die einen Einfluss auf diese Beziehung ausgeübt?
Nersinger: Die Präsidenten und auch die Regierungen haben gesehen, dass man nicht ganz an der katholischen Kirche vorbeikommt und im 20. Jahrhundert hat man dann wiederum einen kleinen Trick gewählt. Die Präsidenten haben einen persönlichen Gesandten nach Rom geschickt, der rein den Präsidenten vertrat und nicht die amerikanische Regierung.
Aber die Katholiken bekamen in den USA eine immer stärkere Bedeutung und 1984 unter Präsident Reagan hat man es dann geschafft, gegen massive Widerstände von manchen protestantischen Freikirchen, volle diplomatische Beziehungen mit dem Vatikan aufzunehmen.
Das Interview führte Michelle Olion.