Er ist katholisch. Daran besteht kein Zweifel. Nicht nur, wenn es nach dem Taufschein geht. Joe Biden besucht jeden Sonntag die Messe und zitiert in seinen Reden auch immer wieder die Bibel. Aber mehr noch: Er trage seit dem Tod seines Sohnes Tag für Tag einen Rosenkranz bei sich, heißt es, weil er persönliche Kraft aus dem Gebet schöpfe. Schon während seiner Zeit als Vizepräsident habe er bei schwierigen Entscheidungen immer Zuspruch im persönlichen Gebet gesucht. "Der katholische Glaube ist ein zentraler Aspekt seiner Persönlichkeit", beschreibt es der öffentlich-rechtliche US-Sender NPR in einem Portrait.
Das ist ein Bild, das Beobachter immer wieder bestätigen. Der deutsche Jesuitenpater Godehard Brüntrup kennt Biden aus persönlichen Begegnungen, und erläutert gegenüber DOMRADIO.DE: "Ich erlebe ihn als einen Menschen, der in einer tief gläubigen irisch-katholischen Familie aufgewachsen ist und der sich diesen Glauben bewahrt hat, mehr noch: Dieser Glaube war seine existentielle Stütze in den familiären Schicksalsschlägen, die er zu erdulden hatte."
Biden trage diesen Glauben – diese Stütze – aber nicht vor sich her. So wird auf Twitter davon berichtet, dass er bei seinen Besuchen der Münchner Sicherheitskonferenz öfters am Sonntag in der Heiligen Messe gesehen wurde, ohne groß Aufsehen zu erregen.
Standpunkt zur Abtreibung
Trotz all dem gibt es teils heftige Kritik aus konservativ-katholischen Kreisen an Biden. Von mehreren US-Bischöfen hieß es, dass Biden für Katholiken nicht wählbar sei. Der größte Streitpunkt ist für viele US-Christen die Frage der Abtreibungspolitik. Biden unterstützt seine demokratische Partei, die sich als "Pro Choice" definiert, also für ein liberales Abtreibungsrecht eintritt. Für Katholiken eigentlich nicht tragbar. Biden selbst hat im Wahlkampf betont, dass er das Recht auf Abtreibung als Demokrat unterstütze, obwohl er das Thema als Katholik persönlich anders betrachtet.
Einen großen Einfluss auf seinen Glauben, wie auf seine Meinungsbildung, habe auch Papst Johannes XXIII. ausgeübt. Gerade die katholische Soziallehre, für die sich der Papst einsetzte, habe ihm einen moralischen Kompass gegeben.
Biden und Papst Franziskus
Auch Papst Franziskus spielt eine Rolle für Biden. Mehrmals ist der US-Politiker mit dem Kirchenoberhaupt zusammengetroffen, sowohl in Rom als auch beim US-Besuch des Papstes 2015, bei dem Biden Franziskus als Vize-Präsident unter Barack Obama empfangen hatte.
Erst eine Woche vor den Wahlen hat Biden die neueste Papst Enzyklika "Fratelli tutti" im Wahlkampf zitiert. Franziskus hat sich in seinem neuesten Text unter anderem gegen die Gefahr des weltweiten Populismus ausgesprochen, Biden bezog dies auf die Trump-Regierung, und gab an, dass Politik "nobler" sei und über den Standards von Medien und Entertainment stehen müsse.
Erste Rede als gewählter Präsident
Auch seine erste Rede als "President elect" zeigt mehrere Bezüge zu seinem katholischen Glauben auf. Biden erinnerte am Samstagabend in Wilmington, dem Ort seines Wahlkampf-Hauptquartiers, daran, dass ihn seine Großeltern immer zum Glauben erzogen hätten. "Keep the faith – spread the faith." Erhalte deinen Glauben, und verbreite ihn weiter. Untermauert hat Biden diese Sätze unter anderem mit einem Zitat aus dem Buch Kohelet aus dem Alten Testament. "Alles hat seine Zeit", es gäbe eine Zeit der Heilung, und die sei jetzt angebrochen.
Mit einem katholischen Kirchenlied beschloss er seine Rede: "In den letzten Tagen denke ich besonders an dieses alte Kirchenlied, das mir immer Hoffnung gegeben hat, und vielleicht auch unserem Land Trost spendet. 'Er wird dich erheben, wie auf den Flügeln eines Adlers'". Die christliche Überzeugung der Hoffnung könnte eine große Rolle für seine Präsidentschaft spielen, wenn er am 20. Januar mit der Hand auf der Bibel seinen Amtseid als 46. US-Präsident ablegen wird.