Es gibt gute Präsidenten, schlechte Präsidenten - und es gibt solche, die eher einer Präsidentenkarikatur gleichkommen. Zu letzterer Gattung gehört Nicaraguas sandinistischer Machthaber Daniel Ortega. Selten wurde ein einstiger "Freiheitskämpfer" derart von der Wirklichkeit entzaubert wie er. "El Presidente" ist vom international hofierten Hoffnungsträger zum wandelnden Klischee eines korrupten Bananenrepublik-Despoten geworden. Nun feiert der Ex-Guerillero seinen 75. Geburtstag (11. November). Grund für eine Party haben indes weder er noch das nicaraguanische Volk.
Ortega, ein alter Vertreter des tropischen Sozialismus, hat das Land in eine seiner schwersten politischen Krisen manövriert. Seit 2018 Pläne für Steuererhöhungen und Rentenkürzungen eine landesweite Protestwelle auslösten, gibt es die Menschenrechte in Nicaragua nurmehr auf dem Papier. Fand der Umbau vom Sandinismus zur Diktatur vorher leidlich verdeckt statt, gibt sich das Regime seither kaum noch Mühe, seinen autokratischen Charakter zu verbergen. Hunderte Tote, Tausende Verletzte sind die Bilanz der Unruhen.
Repressive politische Verhältnisse
Und die Repression gegen Regierungsgegner nimmt kein Ende. Die katholische Kirche, Amnesty International und Human Rights Watch beklagen willkürliche Festnahmen, Folter, außergerichtliche Hinrichtungen. Zehntausende "Nicas" sind ins Ausland geflohen. Hinzu kommen die Auswirkungen der Corona-Pandemie, in der sich das Staatsoberhaupt weitgehend für eine Strategie des Ignorierens entschied. Die Folgen der resultierenden doppelten Krise treffen die ohnehin arme Bevölkerung mit voller Wucht.
Wie konnte es zu diesem Tiefpunkt zentralamerikanischer Geschichte kommen? Jose Daniel Ortega Saavedra, wie er mit vollem Namen heißt, begann seine Herrschaft keineswegs als Unperson. 1945 in La Libertad geboren, war der Junge von der Schule geworfen worden, weil er sich politisch betätigte. Sein Jura-Studium an der Zentralamerikanischen Universität in Managua gab er auf, um sich der Sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) anzuschließen. 1965 übernahm Ortega die Führung der Widerstandsorganisation, saß jahrelang im Gefängnis.
Traum einer "neuen Gesellschaft"
Zusammen mit weiteren Guerilleros kam er 1974 bei einem Gefangenenaustausch frei. Es folgte ein steiler Aufstieg mit ungeahntem Popularitätsschub: In den 70er und 80er Jahren begeisterte der Revolutionsführer linke Internationalisten in aller Welt.
"Comandante Daniel" und seine Getreuen stürzten 1979 mit Waffengewalt die verhasste Diktatur des von den USA gestützten Somoza-Clans. Eine "neue Gesellschaft" sollte entstehen.
Doch daraus wurde nichts. Ortega entpuppte sich selbst als Diktator, verfolgte vor allem ein Ziel: die Macht nicht mehr herzugeben. Als unentbehrliche Figur in der Regierungsjunta wurde er 1985 zum erfolgreichen Präsidentschaftskandidaten der FSLN. Dass ihn das Volk fünf Jahre später abwählte, hat er den Nicaraguanern nie verziehen.
Der erklärte Wille: So etwas sollte ihm nie wieder passieren.
Rückkehr an die Macht
Durch geschicktes Paktieren kehrte Ortega mit der Wahl 2006 an die Staatsspitze zurück, die er seither nicht mehr räumte. Mit Tricks, Rechtsbrüchen und teils offenkundiger Wahlmanipulation errichtete der Sozialist eine eigene Clan-Herrschaft. Als Vizepräsidentin installierte er seine Frau Rosario Murillo (69); zentrale Posten in Wirtschaft und Verwaltung sind mit ihren zahlreichen Kindern besetzt.
Während sich der Ortega-Clan bereichert und das Anwesen in der Hauptstadt Managua zur Festung ausbauen lässt, lebt die Bevölkerung in immer prekäreren Verhältnissen. Laut einer aktuellen UN-Analyse leidet rund die Hälfte unter Armut. Und die Aussichten sind düster.
Zur schweren Rezession seit 2018 kommen jetzt noch die ökonomischen Verwerfungen durch die Corona-Krise. Obendrein richtete in diesen Tagen Hurrikan "Eta" beträchtliche Schäden an.
Scharfe Kritik an Ortega
Nicht nur Managuas Weihbischof Silvio Baez, wegen mehrfacher Morddrohungen vom Papst sicherheitshalber nach Rom beordert, wirft Ortega "völlige Ignoranz" vor. Selbst enge politische Weggefährten haben sich vom früheren Befreiungskämpfer distanziert, klagen über ein "sultanistisches Regime".
Zu einem Umdenken führt die Kritik aber nicht - eher im Gegenteil. Trotz gesundheitlicher Probleme des Präsidenten stellt die sandinistische Regierung die Weichen für das Wahljahr 2021: Mit dubiosen Gesetzen sollen unliebsame Kritiker, Journalisten und Aktivisten zum Schweigen gebracht werden.
Menschenrechtsorganisationen und die Kirche warnen bereits vor einer "neuen Phase der Unterdrückung".