DOMRADIO.DE: Gerade erst hat der Bundestag eine Erhöhung für das Arbeitslosengeld II beschlossen. Ab 2021 bekommen alleinstehende Erwachsene 446 Euro, das sind 14 Euro mehr als jetzt. Halten Sie diesen Betrag für ausreichend?
Andreas Sellner (Abteilung Gefährdetenhilfe der Caritas im Erzbistum Köln): Das ist immer noch ein bisschen sehr knapp bemessen. Wenn man jetzt gerade zu Corona-Zeiten auch noch erlebt, was man alles zusätzlich kaufen muss, zum Beispiel zur Hygiene, ist es noch knapper. Es war vorher schon nicht ausreichend und das ist es jetzt erst recht nicht. Da sind diese Menschen wirklich völlig aus dem Blick geraten.
DOMRADIO.DE: Aus dem Bundesarbeitsministerium heißt es, die Höhe der Regelbedarfe orientiere sich am tatsächlichen Lebensstandard einkommensschwacher Haushalte. Warum lassen Sie das nicht gelten?
Sellner: Diese Bemessungsgröße ist recht beliebig gegriffen. Man hat das irgendwo mal in einen ganz bestimmten Prozentsatz von Menschen und Einkommensgruppen, die aber sowieso schon wenig verdienten, eingepreist. Das zur Grundlage zu nehmen, ist dann natürlich bei allen anderen, die viel mehr verdienen, recht beliebig gegriffen. Das kritisieren wir schon seit Jahren. Früher gab es ja den Warenkorb, der dann zu einem Kuchen von verschiedenen Teilhabemöglichkeiten führte. Der wurde dann von einer prozentualen Betrachtung abgelöst. Jedenfalls reicht das vorne und hinten nicht.
DOMRADIO.DE: Die Caritas im Erzbistum Köln fordert ein faires Berechnungssystem. Was ist denn an den aktuellen Regelsätzen unfair?
Sellner: Wenn man einfach mal über die Dinge des täglichen Lebens oder der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben schaut, dann dann fehlt einfach Geld. Es fehlt Geld, um etwas Schönes zu kaufen oder anderen etwas zu Gute kommen zu lassen, für Blumen etwa. Es fehlt vor allen Dingen Geld für Laptops. Es gibt gar kein Geld für die Ausstattung von benachteiligten Familien, die ihre Kinder jetzt über einen digitalen Zugang im Homeschooling begleiten müssen. Es fehlt zum Teil auch an Geld für Brillen, gesundheitliche Vorsorge oder Heilung.
Da sind wir bei dem Bild von dem Schuh, den wir an diesem Freitag ganz anschaulich überdimensional auf der Kölner Domplatte aufstellen wollen. Er soll im doppelten Sinne darauf hinweisen, dass der Schuh hier noch sehr drückt, vor allem, wenn der Schuh nicht passt und die Regelsatzberechnung nicht stimmt.
Aber natürlich ist auch ein nicht passender Schuh ganz konkret schwierig für einen erwachsenen Menschen zu tragen, noch schlimmer für Kinder. Bei denen wird dann oft gesagt, dass sie sich irgendwelche noch gute, gebrauchte Schuhe nehmen könnten. Gerade bei Kindern ist das aber völlig falsch. Da muss man einen wirklich passenden und neuen Schuh haben, der dann auch ein gesundes Laufen ermöglicht.
DOMRADIO.DE: Die Pandemie verschärft die Situation von Hartz-IV-Empfängern noch mehr. Wo brauchen diese Menschen jetzt mehr Unterstützung?
Sellner: Es fehlt grundsätzlich auch an Unterstützung für die Mahlzeiten in der Schule. Ebenfalls fehlt es an Bildungsgerechtigkeit. Der Regelsatz ist zwar nochmal erhöht worden. Für Bekleidung und Schuhe sind dann für eine erwachsene Person 37,84 Euro vorgesehen. Das bezieht sich auf einen ganzen Monat, für alles. Also auch für neue Schuhe, die es ja eigentlich sein sollten. Das passt ja vorne und hinten nicht.
So ist das bei allen Dingen, ob das nun die Energiekosten in der kalten Jahreszeit sind oder die ganzen Sachen für Freizeit, Unterhaltung und Kultur, die soziale und kulturelle Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen.
DOMRADIO.DE: Was konkret fordern Sie von der Politik?
Sellner: Menschen muss entsprechend der Bedürfnisse und der Teilhabemöglichkeiten, die alle in unserer Gesellschaft haben wollen, auch eine Teilhabe ermöglicht werden. Wir haben schon verschiedene Berechnungsbeispiele vorgelegt. Man braucht eine kräftigen Anhebung der Regelsätze, um nicht auf Almosen angewiesen zu sein.
Das hat Papst Franziskus auch selber nochmal zuletzt im Rahmen der Klimaschutzdebatte im Hinblick auf die Armen gesagt. Man müsse den Armen ihre Würde geben und sie in den Blick nehmen. Das machen wir jetzt mit dem Welttag für die Armen. Aber dass man ihnen tatsächlich ein menschenwürdiges Leben ermöglicht, ist mit diesem Regelsatz nicht möglich.
Das Interview führte Dagmar Peters.