Welche Konsequenzen hat das Aachener Missbrauchs-Gutachten?

"Neue Rolle gefunden"

Nach einem Einblick in das vorgelegte Gutachten zur Aufarbeitung des sexuellen Missbrauches sind die Verantwortlichen vor die Presse getreten. DOMRADIO.DE-Chefredakteur Ingo Brüggenjürgen war dabei.

Bistum Aachen übernimmt Vorreiterrolle / © yotily (shutterstock)
Bistum Aachen übernimmt Vorreiterrolle / © yotily ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Wie ist denn das Gutachten in Aachen von der Bistumsspitze aufgenommen worden?

Ingo Brüggenjürgen (DOMRADIO.DE Chefredakteur): Zunächst mussten die 459 Seiten des Gutachtens gelesen werden. Aus der einen oder anderen Perspektive müssen sich bei den Verantwortlichen in der Bistumspitze dann doch die Augen geöffnet haben. Bischof Helmut Dieser hat gerade gesagt, dass ein Wechsel der Perspektive dringend notwendig ist. Die Kirche müsse sich viel stärker als vorher auf die Betroffenen einlassen und versuchen, ihre Gefühle nachzuempfinden. Kirchliche Entscheigungsträger müssten sich vor allen Dingen die Fragen stellen: Was haben wir getan und was haben wir nicht getan? Das Gutachten könne helfen, diese Verantwortung besser zu erkennen. Nur die Wahrheit könne die tiefen Wunden heilen.

DOMRADIO.DE: Wurden denn auch schon ganz konkrete Schritte benannt?

Brüggenjürgen: Ja, das Bistum Aachen will auch hier Vorreiter sein. Bereits zum 1. Januar will man eine unabhängige Untersuchungskommission einrichten, die sich alle Diözesen in Deutschland verordnet haben. Gleichzeitig hat man gesagt, man möchte schnell und unbürokratisch die entsprechenden Hilfeleistungen überweisen, für die Anerkennung des erlittenen Leids. Zudem sollen die Therapiekosten übernommen werden.

Ganz wichtig, so Bischof Dieser, sei es in nächster Zeit Mut zu machen. Mut dazu, dass es wirklich eine neue Atmosphäre gibt und dass sich auch eventuell noch Menschen melden können, die selber betroffen sind und sich bis dato nicht durchringen konnten. Auch der Bischof selber steht zu Gesprächen bereit. Gleichzeitig hat er aber auch gesagt, dass er den Druck auf die früheren Verantwortlichen konstant halten möchte, damit die ehemaligen Verantwortlichen sich selber zu ihrer persönlichen Verantwortung bekennen und die nötige Selbstreflexion betreiben.

Letztendlich ist es ein Kulturwandel, der hier von der Bistumsspitze angeordnet worden ist. Bischof Dieser sagte: 'Wir dürfen keine Teflon-Kirche sein!“ Also nicht eine Kirche, an der alles abprallt, sondern eine Kirche, die sich die Sorgen und Nöte der Betroffenen wirklich zu Herzen nimmt.

DOMRADIO.DE: Wie will denn der Bischof den Perspektivwechsel, diesen Kulturwandel hinbekommen?

Brüggenjürgen: Das, was schon im Gutachten am Freitag deutlich wurde, das macht sich der Bischof zu eigen: Die Überwindung des Klerikalismus. Er hat ganz deutlich nochmal gesagt, dass Priester keinen besseren Stand haben. Sie haben genauso Schwächen und diese Schwächen müssen benannt werden. Viel zu lange hat man sich in der Öffentlichkeit immer nur um sich selbst bewegt, um den Schutz der eigene heiligen Kirche. Das will man jetzt anders machen. Insofern ist es eine ganz klare Botschaft von Bischof Dieser, der auch deutlich gesagt hat, dass er das nicht nur in Aachen probieren will, sondern auch in die Bischofskonferenz und damit in die gesamte deutsche Kirche hineintragen möchte.

DOMRADIO.DE: Auf dem Podium in Aachen war auch die Personalverantwortliche des Bistums dabei und der Aachener Generalvikar. Was war ihnen jetzt wichtig, jetzt wo sie das Gutachten kennen?

Brüggenjürgen: Die Leiterin der Hauptabteilung Personal, Margherita Onorato-Simonis, hat gesagt, dass sie auch eine bessere Aktenführung brauchen. Das Gutachten hat deutlich gemacht, dass es Lücken gibt und Sachen rausgenommen wurden, da fehlen ganze Akten. Das wird es mit ihr nicht geben. Sie will ebenfalls den Fokus ganz darauf legen, dass die Betroffenen den notwendigen Schutz bekommen. Sie möchte sich für eine Kultur des Hinschauens einsetzen, ohne Rücksicht auf die kirchlichen Hierarchen.

Das waren schon starke Worte. Denen hat sich auch der Generalvikar Dr. Andreas Frick angeschlossen, der als Generalvikar im Moment alle Hände voll zu tun hat, um das alles zu organisieren. Aber das Bistum Aachen geht hier voran. Andreas Frick hat nochmal gesagt, dass die Wahrheit schonungslos ans Licht muss und sie unbürokratisch, pragmatisch und schnell helfen werden. Denn es gibt viele, die sich noch nicht gemeldet haben und auch die sollen sich jetzt melden und den Mut finden.

DOMRADIO.DE: Wie sind diese Bemühungen des Bistums Aachen zu bewerten?

Brüggenjürgen: Das Gutachten selber, was die Aachener vorgelegt haben, ist eine neue Dimension in der katholischen Kirche. Das wurde schon am Freitag deutlich. Ein Kollege hat gesagt, dass das jetzt der "Goldstandard" sei, der hier aufgelegt wird. In der Tat, das Bistum geht hier mit Meilenschritten voran. Ich glaube, dass das ganz neue Töne waren. Es ist einfach eine ganz neue Rolle, die die Verantwortlichen an der Bistumsspitze gefunden haben.

Das Bistum fängt nicht bei Null an, aber es hat eben sehr deutlich gemacht, dass es hier wirklich um eine ganz neue Art von Kirche geht, um einen Kulturwandel. Da bleibt jetzt abzuwarten, ob dieser Versuch die verlorene Glaubwürdigkeit neu zurückzuerlangen, den Verantwortlichen gelingt. Sie selber haben in meinen Augen alles Notwendige dafür unternommen. Da muss man jetzt abwarten, ob das auch wirklich gelingt. Man möchte es nicht nur dem Bistum Aachen wünschen.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Ingo Brüggenjürgen (DR)
Ingo Brüggenjürgen / ( DR )

Helmut Dieser / © Julia Steinbrecht (KNA)
Helmut Dieser / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Generalvikar im Bistum Aachen, Andreas Frick / © Andreas Steindl (Bistum Aachen)
Generalvikar im Bistum Aachen, Andreas Frick / © Andreas Steindl ( Bistum Aachen )
Quelle:
DR
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