Die Nachricht kam überraschend am Dienstag. Paolo Gabriele, der Mann, dem die Welt den Begriff "Vatileaks" verdankt, ist tot. Mit 54 Jahren sei der ehemalige Vatikanangestellte einer langen Krankheit erlegen, hieß es aus dem vatikanischen Pressesaal. Eine Randnotiz in Zeiten der Skandale rund um den Petersdom.
Es gibt Stimmen, die sagen, Gabrieles Taten verblassen im Vergleich zu den aktuellen Skandalen rund um Unterschlagung und Missbrauch. Vielleicht waren die Daten, die der ehemalige Kammerdiener Benedikts XVI. aufgedeckt hat, aber auch der Anfang – der Auslöser – einer ungekannten Transparenzkampagne im Kirchenstaat.
Der Skandal
Vor knapp zehn Jahren war die Verwirrung groß in Rom. Immer wieder tauchten belastende Dokumente auf – scheinbar aus dem Nichts. Dokumente, die von Korruption im Vatikan bis in die höchsten Ebenen sprechen, von Vetternwirtschaft oder "homosexuellen Seilschaften" im Kirchenstaat. Für viele gläubige Katholiken unvorstellbar, dass es solche Missstände unter den Augen des Papstes gibt.
Genau so wichtig die Frage: Wo kommen diese Daten anonymer Quellen überhaupt her? Es ging um Dokumente, auf die neben Papst Benedikt XVI. nur seine Sekretäre Georg Gänswein und Alfred Xuereb Zugriff hatten, und sein Kammerdiener Paolo Gabriele. Als der 2012 schließlich als undichte Stelle "geoutet" wurde, war der Skandal da. "Vatileaks" wurde zum festen Begriff in den Medien, angelehnt an die Plattform "Wikileaks" über die seit Jahren heikle Interna unter anderem aus der US-Regierung an die Öffentlichkeit gebracht wurden.
Ein Buch des Vatikanjournalisten Gianluigi Nuzzi war es, das die "geheimen Briefe aus dem Schreibtisch Benedikts XVI." ans Licht brachte. Gesprächsnotizen, Korrespondenzen und Dokumente, die später auf Paolo Gabriele zurückgeführt werden konnten.
Die Ermittlungen
Im April 2012 setzte Papst Benedikt XVI. eine Ermittlungskommission ein, um die Hintergründe des Leaks zu klären. Besonderes heikel: Auch der spätere Kardinal Giovanni Angelo Becciu unterstützte dieses Gremium. Der gleiche, der im Sommer 2020 selber wegen schwerwiegender Finanzvergehen nicht nur seinen Kardinalstitel verlor, sondern auch angeklagt wurde.
Schon nach wenigen Wochen Arbeit machte das Gremium den Kammerdiener Gabriele als Verantwortlichen für "Vatileaks" ausfindig. Ein Schluss, der übrigens von einigen Stimmen im Vatikan angezweifelt wurde, da selbst nach dessen Festnahme weiter interne Dokumente an die Medien gespielt wurden.
Gabriele selber gestand seine Taten ein, beteuerte aber immer wieder, dass er seinem Dienstherren, dem Papst, dadurch nicht schaden, sondern eher helfen wollte. Die Missstände, gegen die Benedikt XVI. ankämpfte, wollte er mit diesen Veröffentlichungen nur besser ans Licht bringen.
Zu einer 18-monatigen Haftstrafe wurde der Papstbedienstete verurteilt, die er nicht im italienischen, sondern im vatikanischen Gefängnis verbüßen sollte. Am 25. Oktober 2012 trat er seine Strafe an. Nicht mal zwei Monate später, am 22. Dezember, begnadigte ihn der Papst und erließ ihm seine restliche Haftstrafe. Später nahm Gabriele eine neue Aufgabe in der vatikanischen Kinderklinik Bambino Gesu an. Für Paolo Gabriele hatte sich die Geschichte von hier an erledigt.
Mitschuld am Papst-Rücktritt?
Es gibt Beobachter, die schreiben Gabriele eine Mitverantwortung für den Rücktritt Benedikts XVI. zu. Der Papst sei schwer getroffen gewesen vom Verrat eines so engen Mitarbeiters. Von Vertrauten wurde der Papst damals als "geschockt und betrübt" über diese "schmerzhafte" Meldung beschrieben. Sein historischer Rücktritt vom Papstamt im Februar 2013 war kein Jahr mehr entfernt, da liegt es nahe, dass der "Vatileaks"-Skandal dazu beigetragen hat.
Der heute emeritierte Papst streitet das allerdings vehement ab. "Mit alledem hat mein Rücktritt absolut nichts zu tun", schreibt er im Mai 2020. Es sei eher eine körperliche und geistige Ermüdung gewesen, die ihn befürchten ließ, er könne sein Papstamt nicht mehr so ausüben, dass es den Gläubigen gerecht würde. Der "Vatileaks"-Skandal mag allerdings sein Übriges getan haben, zu dieser Ermüdung beizutragen.
Konsequenzen: Aufklärung und Transparenz
Auch wenn der "Vatileaks"-Skandal ab Ende 2012 so langsam aus den Meiden verschwand, ging für den Vatikan die wirkliche Arbeit nun aber erst richtig los. Aufklärung und Transparenz brauche es, wurde von verschiedensten Stellen gefordert. Dass etwas mit den Vatikanfinanzen im Argen liege, wurde in Rom schon lange gemunkelt, die wahren Ausmaße des Finanzskandals werden aber wohl den wenigsten klar gewesen sein. Dieses verstrickte Geflecht aufzuräumen, sollte zu einem der Hauptanliegen des neuen Papstes Franziskus werden.
Wenn die Welt ab März 2013 vor allem auf die ungewöhnlichen Gesten des neuen Papstes geachtet hat, sein Leben im Gästehaus oder seinen Besuch beim öffentlichen Optiker, so war intern schnell klar: Dieser Papst will aufräumen. "Niemand soll unantastbar sein", hieß es – und heißt es – immer wieder, wenn es um Franziskus‘ Linie in der Finanzaufklärung geht. Die Zeiten sollen vorbei sein, in denen sich Vatikanfunktionäre Geld in die eigene Tasche gewirtschaftet, oder Familienmitglieder begünstigt haben.
Neue Linie
Als erstes richtete Franziskus seinen Blick auf die "Vatikanbank" IOR, die schon lange im Ruf stand, in Geldwäsche involviert zu sein. Die Zuschüsse der Bankchefs wurden gekürzt, als Leiter wurde ein externer Finanzaufklärer eingesetzt, und erstmals in der Vatikangeschichte bat der Vatikan bei Italien um Rechtsunterstützung in diesem umfassenden Ermittlungsfall.
Im Februar 2014 – also ebenfalls noch im ersten Amtsjahr seines Pontifikats – setzte Franziskus zwei neu gegründete Gremien ein, den Wirtschaftsrat und das Wirtschaftssekretariat, um die vatikanischen Finanzen zu überwachen.
Probleme bis in die Gegenwart
Damit war es aber noch lange nicht getan. Die Transparenzprobleme der Vatikanfinanzen schlagen bis ins Jahr 2020 noch Wellen. So hat Franziskus erst im Oktober dem vatikanischen Staatssekretariat, dem höchsten Verwaltungsorgan des Kirchenstaates, die Finanzhoheit entzogen. Auch das Staatssekretariat muss seine Finanzen nun mit dem zentralen Wirtschaftsamt Apsa abklären. Dem ging ein Jahr zuvor, im Oktober 2019, ein weiterer, früher undenkbarer Schritt voraus: Eine Razzia im Staatssekretariat. Als eines der Ergebnisse wurde damals aufgedeckt, dass der Vatikan in spekulative Finanzgeschäfte in dreistelliger Millionenhöhe involviert sei, bei denen es um eine Luxusimmobilie in London ging.
Da Korruption und Vetternwirtschaft aber weiter ein Problem blieben, veröffentlichte der Vatikan im Juni dieses Jahres einen komplett neuen Gesetzestext mit über 100 Artikeln, der sich mit der Vergabe öffentlicher Aufträge im Namen des Vatikans befasst.
Wirbel um Kardinal Becciu
Die größten Schlagzeilen in diesem Jahr gab es aber rund um den ehemaligen Kurienkardinal Giovanni Angelo Becciu. Becciu hatte, wie bereits erwähnt, selbst 2013 bei der Aufklärung des "Vatileaks"-Skandals mitgearbeitet, und schon damals deutliche Worte gegen Korruption im Vatikan gefunden. Im Sommer 2020 musste er dann selbst seinen Hut nehmen, weil ihm genau das gleiche Vorgeworfen wurde. Becciu verlor nicht nur seine Aufgaben, sondern auch seine Rechte als Kardinal. Ein Schritt, der extrem selten ist und wegen Finanzvergehen noch nie im Vatikan vorgekommen ist.
Ist der Vatikan damit nun aufgeräumt? Geht bei den Finanzen nun alles mit rechten Dingen zu? Trotz Aufklärungsarbeit, die sich inzwischen über ein knappes Jahrzehnt erstreckt, scheint der Vatikan davon noch entfernt zu sein. Erst vor wenigen Wochen durchsuchten die Finanzaufklärungsbehörden des Europarates die vatikanischen Finanzeinrichtungen. Beide Seiten sprachen davon, dass der Vatikan größtmögliche Kooperation und Offenheit gezeigt habe. Es wird im Sinne von Papst Franziskus sein.