Viele Familien sind erleichtert: Mit den engsten Verwandten können sie an Weihnachten zusammenkommen. Treffen mit bis zu zehn Personen sind in den meisten Bundesländern zugelassen. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), sonst ein Verfechter eher strikter Corona-Regeln, erklärte, an Weihnachten gehe es schließlich darum, "einmal den Wert der Familie zu schätzen".
Eine Äußerung, die auch auf Kritik stößt. Das Fest der Geburt Jesu werde zu stark reduziert, sagt etwa die katholische Stadtjugendseelsorgerin von Nürnberg, Schwester Magdalena Winghofer. Verantwortliche in der Politik sähen bewusst nicht das christliche Fest, sondern allein das Familienfest. Droht der christliche Kern des Festes unterzugehen?
Institution Kirche ist der Politik nicht egal
Der Religionssoziologe Gert Pickel sieht in der Entwicklung in der Tat einen "Hinweis darauf, dass sich die Säkularität stärker durchgesetzt hat". Religiöse Aspekte stünden derzeit weniger im Fokus. Andererseits: "Die Kirchen werden für Gottesdienste offengehalten. Man hätte es ja auch wie im Frühjahr regeln können, zumal ein gewisses Rest-Infektionsrisiko trotz Hygienekonzepten bestehen bleibt." Offenbar sei die Institution Kirche der Politik nicht egal.
Familienfest oder religiöses Fest - der Religionssoziologe Detlef Pollack sieht darin nicht unbedingt Alternativen. "Weihnachtsgottesdienste sind für viele ein Familienereignis", erklärt er. Sogenannte Weihnachtschristen, die einmal im Jahr einen Gottesdienst besuchen, seien vielleicht nicht immer von großer religiöser Sehnsucht angetrieben. "Dennoch gehört beides auch inhaltlich zusammen: An Weihnachten feiern wir die Heilige Familie."
Wie wichtig ist der Gottesdienst?
Wenn Menschen in diesem Jahr aus Vorsicht auf den Gottesdienst verzichteten oder ihre Gemeinde kein entsprechendes Angebot mache, werde dieses Erlebnis vielen fehlen, vermutet der Experte. "Für viele gehört der Gottesdienst zu Weihnachten dazu."
Umgekehrt gibt es die Befürchtung, dass mancher feststellen könnte: So wichtig ist der Gottesdienst doch nicht. Pickel sieht das gerade zu Weihnachten gelassener: "Es ist das soziale Fest schlechthin. Ein bestimmtes Set an Liedern, das Gemeinschaftserlebnis im Gottesdienst - das erwarten die Menschen von der Kirche."
Nicht jeder kann Weihnachten mit der Familie feiern
Ordensfrau Winghofer bezeichnet ein ganz anderes Problem als drängend: "Nicht alle haben einen familiären Sozialkontext, in dem es sich gut Weihnachten feiern lässt." Momentan drohten jene aus dem Blick zu geraten, die einsam und schon jetzt am härtesten von den Kontaktbeschränkungen betroffen seien, sagt sie. Auch gebe es junge Menschen, für die Weihnachten kein Familienidyll, "sondern die Hölle" sei.
Verschärft wird die Situation für jene, die sich von der Pandemie überlastet fühlen - aus den verschiedensten Gründen. Ohne den Alltag und die gewohnte Reizüberflutung falle es vielen schwer, "abzuschalten oder uns gar nicht erst anzuschalten", hat Schwester Benedicta beobachtet, Eremitin in Bonn-Bad Godesberg, und erklärt: Dann "entsteht ein deutliches Bild von unserem Inneren", das vielen Angst mache.
Situation schwierig - auch für die Kirche
Auf Einsame oder Ängstliche zu achten, sei unter Corona-Bedingungen schwieriger, sagt Pollack. Insofern sei die Kirche gefragt, nicht ausschließlich Gottesdienste anzubieten. "Natürlich ist die geistliche Kommunikation für die Kirchen elementar", sagt der Wissenschaftler. "Aber nicht nur in der Krise kommt es darauf an, Seelsorge zu betreiben und nah bei den Menschen zu sein."
Wenn dies gelinge, könnte darin sogar eine Chance liegen, betont Pickel: "Diejenigen ansprechen, die einsam sind, die nicht wissen, wohin, für die es noch weniger Angebote gibt als in anderen Jahren." Auch für die Kirche sei die Situation schwierig, so der Forscher: "Aber sie kann ihr einen notwendigen Schub geben."
Telefonseelsorge bereitet sich vor
Schon in den vergangenen Jahren haben junge Menschen bei Schwester Magdalena angefragt, ob sie Weihnachten bei ihrem Orden, der Congregatio Jesu, verbringen könnten.
Die Telefonseelsorge hat bereits angekündigt, die Leitungen an Weihnachten für möglichst viel Hilfesuchende offenzuhalten. Entscheidungsträger müssten die "ganze Bandbreite von Lebenssituationen im Blick" haben, mahnt die Ordensfrau.