DOMRADIO.DE: In den NRW-Schulen gibt es ab Montag schon keine Präsenzpflicht mehr. Sie leiten in Urft ein Heimgelände mit ambulanter Betreuung sowie Tagesgruppen mit teilstationärem Angebot, also Betreuung der Kinder nach der Schule. Wenn Sie diese Beschlüsse von gestern hören, können Sie auch einfach sagen, wir machen ab Mittwoch dicht?
Susanne Beckschwarte (Geschäftsführerin und Heimleiterin Hermann-Josef-Haus in Urft): Nein, wir können nicht dicht machen. Wir haben 365 Tage im Jahr auf. Wir sind ja ein großer Träger der Jugendhilfe und wir haben sowohl eine Förderschule, haben vollstationäre Gruppen und haben teilstationäre Gruppen und ambulante Arbeit.
In den vollstationären Gruppen haben wir sogar Kinder, die Weihnachten und Heiligabend nicht nach Hause können, wo Eltern hier ihre Kinder zum Teil besuchen kommen können, aber das Jugendamt oder das Familiengericht erlaubt da noch keinen Heimbesuch. Von daher ist Zumachen beim ersten Lockdown wie auch jetzt überhaupt keine Möglichkeit. Unsere Arbeit geht weiter.
DOMRADIO.DE: Das Wort Jugendhilfe fällt gefühlt relativ selten, wenn es um Maßnahmen und Regelungen, aber auch um Hilfen und Konzepte geht. Können Sie das bestätigen aus Ihrer Arbeit heraus?
Beckschwarte: Ja, das kann ich bestätigen. Die Jugendhilfe hat hier keine laute Stimme. Obwohl Spitzenverbände die entsprechenden Politiker angeschrieben haben, doch zumindest mal bei den Aufzählungen auch die Erzieher und Sozialpädagogen in der Jugendhilfe zu benennen, ist das ganz, ganz selten geschehen.
Wir haben hier in NRW das Glück gehabt, dass wir sehr schnell als systemrelevant anerkannt wurden. Das hat dann einiges erleichtert. In anderen Bundesländern ist das später geschehen. Aber insgesamt werden unsere Belange nicht so gesehen. Wir haben zum Beispiel ein, man kann schon fast sagen, Zweiklassensystem insofern, dass wir eine Schule haben, wo die Testungen der Lehrer bezahlt werden vom Ministerium oder vom Land.
Auf der anderen Seite haben wir hier unsere vollstationären Gruppen oder auch die Tagesgruppen oder die ambulanten Mitarbeiter, die in die Familien gehen, da können wir die Arbeit nicht einfach stoppen. Aber diese Tests, wenn wir dann testen lassen ohne Symptome, zur Sicherheit, müssen wir selber als Jugendhilfeträger bezahlen.
DOMRADIO.DE: Warum ist das so? Warum wird so wenig darüber diskutiert, über das, was sie eigentlich die ganze Zeit tun?
Beckschwarte: Jugendhilfe ist nur ein kleiner Bereich der Gesellschaft und ein kleiner Bereich im Sozialen. Das ist schon immer so gewesen, dass wir sehr darum kämpfen mussten, dass wir gesehen werden und unsere Belange gesehen werden. Und dass wir hier Kinder vollstationär versorgen und diese Kinder ja Tag und Nacht bei uns sind und wir somit auch einen Schichtdienst für Mitarbeitende im erzieherischen Bereich haben. Das wird selten gesehen und ich bin sehr oft gefragt worden, auch beim ersten Lockdown schon: Macht Ihr denn jetzt zu?
DOMRADIO.DE: Es ist ja auch ein Trugschluss zu denken, die Kinder sitzen dann nach der Schule bei Ihnen und machen ihre Hausaufgaben. Sie haben es gesagt, da steckt deutlich mehr dahinter. Es gibt pädagogische Arbeit, engen Austausch mit den Familien. Wie läuft das momentan ab?
Beckschwarte: Das ist sehr schwierig und teilweise auch sehr hart für die Kinder und für die Eltern. Denn wir können natürlich nicht wie in regulären Zeiten die Eltern hier so integrieren in die Arbeit. Wir sind sehr ressourcenorientiert und familienorientiert. Normalerweise sind Eltern hier auf dem Gelände gern gesehene Gäste, die auch teilweise integriert in den Gruppen mit ihren Kindern sind und dort auch eine Zeit zusammen verbringen können. Oder auch Trainings machen können im Hinblick auf Rückführung, also wenn die Kinder wieder in ihre Familien gehen.
Das geht im Moment aufgrund des Hygienekonzeptes und des Infektionsschutzes nicht. Und so müssen wir sehr genau schauen. Die Eltern dürfen im Moment nicht auf die Gruppen, weil dort ja sechs, sieben andere Kinder sind. Das heißt, wir machen andere Räume und Möglichkeiten, machen Räume der Begegnung möglich für Eltern die hier hin kommen oder schauen, wenn die Kinder nach Hause gehen können, wie wir das mit den Eltern gestalten, dass sie keine weiteren Kontakte haben und wie wir das machen, wenn die Kinder wieder zurückkommen. Aber es ist sehr, sehr aufwendig und immer auch ein bisschen Risiko natürlich.
DOMRADIO.DE: Was würden Sie sich von der Politik wünschen?
Beckschwarte: Als erstes Mal, dass wir überhaupt benannt werden. Dass, wenn allen gedankt wird, auch die Erzieher und die Sozialpädagogen in der Jugendhilfe gesehen werden. Und ich wünsche mir vor allen Dingen, wenn wir jetzt in das Impfgeschehen gehen und in die Zukunft sehen, dass wir da auf alle Fälle einen sehr zeitnahen Platz haben und nicht am Ende der Kette sind.
Unsere Mitarbeiter gehen in die Familien, die Tagesgruppen, da sind acht oder zehn Kinder die täglich aus zehn verschiedenen Familien und Schulen zusammenkommen. Es wäre schon sehr gut, wenn wir da auch sehr früh mit einbezogen würden.
Das Interview führte Carsten Döpp.