So sei während einer von der Polizei am Samstagabend aufgelösten Zusammenkunft nicht gesungen worden, sagte der Anwalt der deutsch-russischen Gemeinde Jesu Christi, Lutz Klose, dem "Westfalen-Blatt" (Dienstag) in Bielefeld. "Der Chorgesang war aufgezeichnet und kam aus einer Stereoanlage." Alle Gemeindemitglieder hätten zudem Masken dabei gehabt. Ob diese immer getragen worden seien, werde sich zeigen.
Laut Polizei hatten die mehr als 100 Teilnehmenden weder Abstand gehalten noch Mund-Nasen-Schutz getragen. Die Beamten hätten schon von außen deutlich Gesang gehört. Zudem habe die Gemeinde ihre Zusammenkunft nicht vorab angemeldet, erklärte die Stadt Herford auf Anfrage der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Insgesamt schrieben die Polizisten 111 Anzeigen wegen Verstoß gegen das Infektionsschutzgesetz.
Gottesdienste unter Corona-Auflagen erlaubt
In Nordrhein-Westfalen sind Gottesdienste und andere religiöse Veranstaltungen auch während des Lockdowns grundsätzlich erlaubt. Die Teilnehmenden müssen jedoch unter anderem Abstand halten, Maske tragen und dürfen nicht singen. Die Gemeinden sind verpflichtet, die Behörden über Gottesdienste und weitere Versammlungen zu informieren.
In den vergangenen Monaten gab es immer wieder Vorwürfe gegen freikirchliche Gruppen, Corona-Regeln gebrochen zu haben. Zuletzt soll etwa eine Pfingstgemeinde in Essen bei einem Treffen mit mehr als 80 Teilnehmenden gesungen und keinen Abstand eingehalten haben. Auch im Raum München kam es zu einem ähnlichen Vorfall am Wochenende.
Religionssoziologe: Starke Skepsis bei vielen freikirchlichen Gemeinden
Der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack erklärt die Verstöße auch mit dem Selbstverständnis der Gemeinden. Bei vielen freikirchlichen und evangelikalen Gruppen sei eine starke Skepsis gegenüber den staatlichen Maßnahmen zu spüren, sagte er im KNA-Interview. "Die eigene religiöse Sonderinterpretation wird oft über wissenschaftliche und staatliche Autoritäten gestellt", so der Wissenschaftler.
Pollack erklärte, dass der persönliche Kontakt und das gemeinsame Gebet für viele Freikirchen-Anhänger von großer Bedeutung seien. Die katholischen Bistümer und evangelischen Landeskirchen hätten im Unterschied zu vielen Freikirchen von vornherein die Aussagen der Politik akzeptiert und weitgehend darauf verzichtet, die Corona-Krise ausschließlich im Licht des Evangeliums, etwa als Strafe Gottes oder eine Prüfung für den Menschen, zu interpretieren.
Der Wissenschaftler betonte gleichzeitig, dass man nicht alle freikirchlichen und evangelikalen Verbünde in einen Topf werfen könne. Unter den Gemeinden gebe es auch solche, die die Vorgaben ernst nähmen. "Das freikirchliche und evangelikale Spektrum ist in sich sehr stark polarisiert."