Katholische Elternschaft kritisiert Schulen, Lehrende und Verbände

"Es fehlen wieder die Konzepte"

Das neue Jahr beginnt für Schüler in NRW mit Unterricht auf Distanz bis mindestens Ende Januar. Die katholische Elternschaft fordert neue Konzepte für den digitalen Unterricht.  

Symbolbild Unterricht über digitales Medium, Homeschooling / © Gorodenkoff (shutterstock)
Symbolbild Unterricht über digitales Medium, Homeschooling / © Gorodenkoff ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Die Politik kann nur Rahmenbedingungen schaffen, die Pädagogen müssen jetzt liefern, fordern Sie. Wie ist das gemeint?

Marie-Theres Kastner (Bundesvorsitzende der Katholischen Elternschaft Deutschlands, KED): Die Lehrerinnen und Lehrer sind die von allen anerkannten Fachkräfte in Sachen Pädagogik. Die Politik kann die Geräte beschaffen, sie kann die Rahmenbedingungen stellen. Aber wie digitaler Unterricht, wie Lernen auf Distanz geht, das ist die Aufgabe, die Lehrer oder die Pädagogen erfüllen müssen.

DOMRADIO.DE: Jetzt werfen Sie den Lehrerverbänden vor, dass sie Verantwortung abwälzen, sich auf die Politik als Lösungsfinder konzentrieren. Gehen Sie da mit den Pädagoginnen nicht sehr hart ins Gericht?

Kastner: Es gibt eine ganze Reihe von Lehrerinnen und Lehrern, die sich unheimlich ins Zeug legen. Und die sehr wohl sehen, welch eine Belastung das vor allen Dingen für die Familien und für die Kinder darstellt. Wir haben ja in unserer großen Umfrage festgestellt, dass 40 Prozent aller Kinder irgendwo doch auf der Strecke bleiben. Es gibt diese sehr engagierten Lehrer, aber es gibt auch einen Teil der Lehrer, die sagen: 'Das ist mir alles nicht geheuer und ich will mich mit dem Thema gar nicht befassen. Und eigentlich ist der Präsenzunterricht die beste Form von Schule.' Dem stimmen wir natürlich zu.

Aber dieses Versprechen der Politik, die Schulen offen zu halten, weil der Präsenzunterricht so gut ist, hat natürlich viele Lehrer beruhigt und sie haben sich gesagt: 'Dann brauchen wir uns um das andere nicht so zu kümmern.' Und jetzt stellen wir fest, dass es doch ganz anders kommt. Und es fehlen wieder die Konzepte. Oder das Wlan ist überlastet. Und schon wieder ein verlorener Tag.

DOMRADIO.DE: Teils liegt es ja auch an der mangelnden Hardware tatsächlich, die die Kinder zuhause nicht haben.

Kastner: Ja, manchmal liegt es an der Hardware. Aber es liegt auch an den Konzepten. Ich will Ihnen ein Beispiel nennen aus meinem allerengsten Kreis. Da wurden die Schüler aufgefordert, morgens um 8 Uhr am Computer zu sitzen und sich einzuloggen. Nach einer halben Stunde kam eine dieser Schülerinnen, die davon betroffen war, bei ihrer Mutter vorbei und die sagte: 'Was machst du denn, du hast doch Unterricht!' Da hat die Tochter gesagt: 'Nein, ich habe jetzt eine Stunde frei. Ich habe Sport.'

Das heißt also im Endeffekt: Es gibt kein Konzept. Die Frage muss sein: Was will ich im digitalen Unterricht vermitteln, was brauchen die Kinder, damit sie keine Verluste haben ihm im Lernstoff? Denn darum geht es ja letztendlich. Ich appelliere dann auch wieder an die Politik, hier den Schulen Freiheiten zu gewähren. Denn Schulen können Konzepte am besten in ihrem eigenen System entwickeln, weil sie selber wissen, was für Schüler sie haben, wo die Eltern sich mit einbinden können, wo auch Lehrer am besten was entwickeln können.

DOMRADIO.DE: Hätten Sie sich gewünscht, dass alle Schulen, alle Lehrer, alle Lehrerverbände rein digitale Konzepte schon längst entwickelt hätten?

Kastner: Ja. Das klingt jetzt furchtbar brutal, aber wenn ich erwarte, dass Krankenschwestern und Intensivmediziner Weihnachten sausen lassen, dass sie mit Freude für diese schlimm erkrankten Leute da sind und auch nicht schauen, wie viel Zeit es kostet, wie viel Energie es kostet. Dann erwarte eigentlich auch, dass alle, die an Schule beteiligt sind, und damit meine ich wirklich alle, sich an einen Tisch setzen und gucken, wie können wir das Beste für unsere Kinder rausholen. Denn uns hat in dieser Umfrage, die wir ja im Sommer gemacht haben, die Zahl derer, die nicht mitkommen, die ja bei fast 40 Prozent liegt, unheimlich erschreckt.

DOMRADIO.DE: Das heißt im Grunde auch, dass Lehrerinnen, die beispielsweise jetzt 55 sind und bei denen im Lehramtsstudium keine Rede davon war, wie man eine digitale Unterrichtsstunde mit Zoom gestalten kann, komplett umdenken müssen?

Kastner: Ja, sie müssen sich wenigstens einer Fortbildung stellen. Und es gibt ja auch Multiplikatoren in den Kollegien. Als KED Nordrhein-Westfalen haben wir erlebt, dass ein Lehrer in Würselen solche Konzepte entwickelt hat. Der geht auch als Prediger sozusagen durchs Land.

Ich glaube, es bleibt keinem erspart, sich in der gegenwärtigen Situation mit dem Thema zu befassen, sich kollegiale Hilfe zu holen oder zu gucken, wie man es machen kann. Natürlich ist digitaler Unterricht ein anderer Unterricht als der Präsenzunterricht in der Schule.

DOMRADIO.DE: Aber wie?

Kastner: Ich erinnere an eine Fernsehsendung "hart aber fair", wo eine Mutter da war, die Beispiele gesammelt hat. Es gibt, glaube ich, mittlerweile eine ganze Menge im Internet und auch insgesamt bei den Verbänden. Das muss in den Vordergrund gestellt werden.

Ich möchte eigentlich gerne, dass die Lehrerverbände sagen: So, wir haben das und das jetzt gemacht und wir stellen das in den Mittelpunkt. Und wir sagen nicht immer, wir haben Angst vor Doppelbelastung und vor Krankheiten, sondern wir setzen uns hin und erarbeiten für die Schüler etwas. Denn Homeschooling, wie das ja fälschlicherweise genannt wird, ist ja auch eine Form von Gesundheitsschutz für Lehrer und Schüler. Also das heißt, sie müssten auch Interesse daran haben, den Eltern und den Kindern deutlich zu machen: Wir gehen auf das neue Medium ein. Wir wissen, dass wir eigentlich lieber was anderes täten, aber wir müssen es machen.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
DR