Antisemitismus-Experten Michael Blume warnte vor einer radikalisierenden Wirkung, die die Bilder aus Washington auch auf die Szene rund um die Corona-Proteste in Deutschland haben könnten. Die Verschwörungsbewegung in den USA sei ganz ähnlich zu der in Deutschland, auch wenn die Gefahr derzeit geringer sei, sagte Blume der "Stuttgarter Zeitung" und den "Stuttgarter Nachrichten". "Wenn Verschwörungsgläubige das Gefühl haben, die Polizei weicht zurück, der Rechtsstaat weicht zurück, dann glauben sie, dass sie kurz vor dem Sieg stehen."
Wachsende Anti-Impf-Verschwörungsbewegung
Für Deutschland warnte Blume vor einer wachsenden Anti-Impf-Verschwörungsbewegung und einer Gefahr für die Pandemiebekämpfung: "Wenn wir uns dem Thema nicht bald stellen, wird das eine Gefahr für die Impfquoten", sagte Blume. Er habe den Eindruck, dass die Gefahr von Politik und Sicherheitsbehörden noch nicht ausreichend gesehen werde.
Aufarbeitung der Vorfälle im Kapitol
Der deutsche Weltkirche-Bischof, Erzbischof Ludwig Schick, forderte Versöhnung in den USA und eine Aufarbeitung der Vorfälle am Kapitol. "Es muss alles getan werden, dass Frieden einkehrt. Und natürlich sind die Politiker in einer besonderen Verantwortung", sagte der Bamberger Erzbischof dem Kölner Portal domradio.de. "Was Trump befeuert hat und andere mit ihm, das muss auch beredet und eventuell auch juristisch geahndet werden."
Er unterstrich, dass die Einheit in Amerika wieder vorangehen müsse. "Aber das wird Zeit brauchen. Die Gesellschaft ist sehr gespalten, was man jetzt sehen kann. Ich meine, das Christentum mit seiner Botschaft der Versöhnung und des Friedens, das muss jetzt in Amerika auch mehr die Gesellschaft wieder prägen", sagte der Weltkirche-Bischof der Deutschen Bischofskonferenz.
Analyse vor einem Versöhnungsprozess
Ein Versöhnungsprozess erfordere zunächst immer eine Analyse. "Also erst mal richtig hinsehen, dann auch urteilen und dann handeln. Ich meine, es wäre wichtig, dass man die Wahrheit auf den Tisch bringt, sich darüber austauscht, dann auch darüber nachdenkt und beurteilt was jetzt geschehen ist und wie man miteinander weitergehen kann", betonte Schick.
So müsse darüber nachgedacht werden, was eine Demokratie wirklich erfordere. "Demokratie hat auch immer etwas mit Christentum zu tun, das Toleranz, Solidarität fordert, gegenseitiges Wohlwollen, Verständnis, Friedensaktionen. All das muss jetzt besprochen werden", sagte der Erzbischof.
Außenminister Heiko Maas erneuert Kritik an Trump
Außenminister Heiko Maas (SPD) erneuerte bei "Bild live" seine Kritik an US-Präsident Donald Trump. Die Geschehnisse seien nicht nur auf dessen jüngste Äußerungen zurückzuführen, "sondern das hat sich aufgebaut über vier Jahre." Maas war demnach auf dem Rückweg von Jordanien, als ihn die Bilder aus Washington erreichten. Er habe im Flieger "selten Situationen erlebt, in denen es so still gewesen ist, weil es uns allen tatsächlich die Sprache verschlagen hat", sagte der Minister. Er hoffe, dass die USA unter dem gewählten Präsidenten Joe Biden wieder stärker auf internationale Zusammenarbeit setzen werden.