DOMRADIO.DE: Als Sie im Januar vor einem Jahr aus der Region zurückkehrten, haben Sie gesagt "Ich bin dankbar, dass ich mit den Bischöfen aus den anderen Ländern den Menschen im Heiligen Land begegnen und die Realität ihrer Lebenssituation erfahren konnte". Diese direkte Begegnung entfällt coronabedingt in diesem Jahr. Wie nah sind Sie trotzdem an den Themen, die die Christen im Heiligen Land gerade bewegen?
Dr. Udo Bentz (Mainzer Weihbischof und Vorsitzender der Arbeitsgruppe Naher und Mittlerer Osten der Kommission Weltkirche): Das ist natürlich sehr schade und auch schwierig. Dieses Treffen der Bischöfe im Heiligen Land ist auch immer eine Pilgerfahrt und dazu gehören Gebete und gemeinsame Gottesdienste in den Pfarreien. Das ist nicht möglich. Auch diese Gespräche mit den Menschen in den Gemeinden und in den Einrichtungen, mit den jungen Leuten sind nicht möglich. Dennoch würde ich sagen, wir sind nah dran, weil unsere Gesprächspartner uns eins-zu-eins Informationen geben können.
Diese Videokonferenzen, jeden Tag, zwei Stunden, sind sehr konzentriert und sehr intensiv. Und wir haben gestern mit jungen Leuten aus einem Job-Trainingsprogramm in Gaza gesprochen. Wir haben mit ehrenamtlichen Helfern der Caritas gesprochen, natürlich mit dem neuen Erzbischof Pizzaballa und anderen Gesprächspartnern. Man bekommt dieses Jahr schon die Themen ganz nah mit, aber es fehlt natürlich auch dieses gemeinsame Reflektieren und in einem zwanglosen Austausch stehen. Das ist schwierig. Das fehlt.
DOMRADIO.DE: Seit Samstag läuft das virtuelle Treffen. Am Donnerstag ist dann der letzte Tag. Es gab und gibt verschiedene Online-Konferenzen mit Kirchenvertretern im Heiligen Land. Die Corona-Pandemie wird dabei einen Schwerpunkt ausmachen. Wie ist denn die Lage dort und was können Sie tun?
Bentz: Ganz klar. Corona war das erste Thema und hat alle Begegnungen bisher geprägt. Die Lage ist sehr unterschiedlich. Wir haben gestern gehört, dass das Gesundheitssystem in Gaza überlastet ist. Ich fand es sehr berührend, wie jemand gesagt hat: "Das Gesundheitssystem ist kollabiert, aber die menschlichen Beziehungen und die Hilfsbereitschaft ist nicht kollabiert". Deswegen kämpft man mit Möglichkeiten. Die Impfstrategie in Israel ist hervorragend. Mit einem vorbildlichen Projekt und Programm wurden hier schon sehr viele geimpft.
In den palästinensischen Gebieten sieht es mit den Impfungen schwieriger aus. Da tun sich unterschiedliche Entwicklungen auf, obwohl noch nicht klar ist, welche Auswirkungen das weiterhin hat. Es ist vor allen Dingen bei der Corona-Pandemie natürlich auch, wie bei uns die Fragen nach den wirtschaftlichen Problemen, die dadurch entstehen. Man muss überlegen, auch da sind die Gebiete im Westjordanland besonders betroffen. Es sind die heiligen Stätten und die Pilgerstätten.
2019 gab es noch vier Millionen Pilger und das ist im Grunde komplett zurückgefahren worden. Nahezu null. Und gerade die Christen sind sehr im Bereich des Tourismus, der Hotels, der Gaststätten, des Pilger-Betriebes beschäftigt. Man hat investiert, weil die Pilgerströme zunahmen, hat Schulden aufgenommen, so wurde uns gesagt. Und jetzt fehlen natürlich die Einkünfte, um das zu bedienen.
DOMRADIO.DE: Es wird dann bei Ihrem virtuellen Treffen noch um die christlichen Schulen im Gaza-Streifen gehen. Bildung war auch in den vergangenen Jahren ein wichtiges Thema. Sehen Sie da eine positive Entwicklung?
Bentz: Schulen und Bildung sind tatsächlich so etwas wie ein roter Faden, der sich durch all diese Treffen hindurch zieht. Die Schulen, sowohl in Israel als auch im Westjordanland, kämpfen mit dem Homeschooling. Es gibt erschwerte Bedingungen. Da bin ich gespannt, was wir mit Blick auf die Finanzierung der Schulen hören. Die Refinanzierung durch die staatlichen Behörden sind viel schwieriger geworden.
Es gibt aber auch sehr interessante Projekte: ein Job-Creating-Programm, ein Bildungsprojekt in Gaza. Junge Menschen sollen mit einem Trainingsprogramm in Beschäftigung kommen. Wir hatten ein Gespräch mit einem Mann, der die IT-Ausbildung hatte und in einem UN-Projekt beschäftigt war. Dieses UN-Projekt in Gaza musste eingestellt werden, weil die US-Administration vor zwei Jahren keine Unterstützungsgelder mehr gezahlt hat.
Er hat eine Familie gegründet, sein erstes Kind erwartet, war arbeitslos und ist dann in dieses Job-Creating-Programm gekommen und hat sich in IT-Cybersecurity weitergebildet. Jetzt hat er eine neue Stelle in Gaza gefunden. Das sind natürlich sehr berührende Geschichten, wo man sieht, die Programme greifen, auch wenn es kleine Programme sind und auch wenn es weiterhin schwierig ist, jungen Menschen dauerhafte Perspektiven zu geben. Die Abwanderung aus Gaza, ist nach wie vor das schwierigste Thema. Gerade die Christen versuchen neue Perspektiven für sich zu schaffen, außerhalb von Gaza. Diese Abwanderung zu verlangsamen, zu stoppen, ist eines der ganz großen Themen.
Das Interview führte Tobias Fricke.