Das Trauma wirkt bis heute nach und es hat einen Namen: Die Tuskegee-Syphilis-Studie. Hinter dem harmlos klingenden Titel steckt ein Rassismus-Kapitel, das sich tief in das kollektive Gedächtnis der Schwarzen in Amerika eingegraben hat und noch Jahrzehnte später Ängste weckt.
Das kollektive Gedächtnis vergisst nicht
In der Region Tuskegee im Bundesstaat Alabama experimentierte der Mediziner John Charles Cutler ab 1932 mit schwarzen Männern, die an der Geschlechtskrankheit Syphilis erkrankt waren. Eine echte Einwilligung in die Menschenversuche gab es nicht, da die meisten der Betroffenen weder lesen noch schreiben konnten.
Die "Beobachtung" des Krankheitsverlaufs bei den Männern ging bis 1972 weiter, als längst Medikamente gegen die Syphilis erhältlich waren, die sie aber nie erhielten. "Die Sorge ist verbreitet, auch in der potenziell tödlichen Covid-19-Pandemie wieder missbraucht zu werden. Jeder spricht über Tuskegee", so die promovierte schwarze Virologen Maritza McIntyre. "Das ist der Grund, warum sich viele nicht impfen lassen wollen."
Strukturelle und Soziale Ungleichheit
Dabei sterben Schwarze laut Zahlen der US-Gesundheitsbehörde CDC dreimal so häufig am Coronavirus wie Weiße. Sie leben oft in beengten Verhältnissen. Soziale Distanz, um sich vor einer Infektion zu schützen, ist oft nicht möglich.
Hinzu kommt die mangelhafte medizinische Versorgung der großen Mehrheit unter Schwarzen, die sich Arztbesuche schlicht nicht leisten können. Fast ein Drittel unter ihnen ist von der Infektion betroffen - bei einem Bevölkerungsanteil von nur 13 Prozent. Vor allem in schwarzen Ballungsräumen grassiert das Virus.
Schon in der Frühphase der Pandemie beobachteten Experten gravierende Unterschiede bei Infektions- und Totenzahlen zwischen Schwarzen und Weißen. In Wohngebieten mit hoher schwarzer Population, wie den New Yorker Stadtteilen Queens und Bronx, ist die Zahl der Corona-Toten doppelt so hoch wie unter Weißen.
In die Impfzentren strömen die Schwarzen dennoch nicht. Viele sind misstrauisch gegenüber der Regierung, misstrauisch gegenüber dem Impfstoff, erklärt der Bischof der "African Methodist Episcopal Church" in Florida, Adam J. Richardson, das Phänomen. "Das Tuskegee-Experiment wurde erst in den frühen 70er-Jahren beendet. Das ist noch nicht so lange her."
Aufgabe für die Kirchen
Die innere Impfblockade vieler Schwarzer sei das Ergebnis eines "langjährigen und tiefen Rassismus", so Vivek Murthy, den Joe Biden wieder in das Amt des "Surgeon General" berief, obersten Amtsarzt der USA war er zuletzt auch unter Barack Obama. Es sei an der Zeit, sich dieser Geschichte zu stellen, fordert der Mediziner, der die Religionsführer dazu aufruft, das Vertrauen unter Schwarzen wieder herzustellen.
Genau das tat Raphael Warnock vor Kurzem, als er seine Impfung per Video aufzeichnete, ins Netz stellte und sich damit in die lange Liste schwarzer Pastoren einreihte, die damit ihre Gemeinden zur Nachahmung aufforderten. "Es ist wichtig, dass wir der Wissenschaft vertrauen und tun, was die Experten raten", so der frisch gewählte erste schwarze Senator aus Georgia und Pastor der Ebenezer-Gemeinde Martin Luther Kings.
Rückendeckung vom Top-Virologen
Rückendeckung bekommen die schwarzen Glaubensführer vom Top-Virologen der Regierung, Anthony Fauci. Der Chef des Instituts für Viren- und Allergieforschung am staatlichen NIH will religiöse Gruppen direkt bei der Impfstoffverteilung in Gemeinden von Schwarzen mit einbinden. Das ist auch notwendig. Denn Tuskegee ist kein Einzelfall. Viele erinnern sich noch an Henrietta Lacks. Ärzte des Johns Hopkins Hospital entnahmen der fünffachen Mutter Anfang der 1950er-Jahre Krebszellen aus ihrem Gebärmutterhals zu Forschungszwecken, ohne ihre Einwilligung einzuholen.
Schwarze Pfarrer stehen mit ihrer Überzeugungsarbeit für das Impfen vor einem Dilemma. "Wenn man es zuerst den Schwarzen anbietet, dann heißt es: 'Ihr wollt wieder an uns experimentieren.' Wenn es uns zuletzt angeboten wird, dann heißt es: 'Warum bekommen sie es zuerst?", so der ehemalige Polizeichef von Detroit, Ralph Godbee, der in der Pandemie eine große schwarze Gemeinde unterstützt.
Schwarze Kirchenführer sind sich ihrer Verantwortung in der Impf-Kampagne bewusst. So wie Pastor Miniard Culpepper von der "Pleasant Hill Missionary Baptist Church" in Boston. "Die Leute werden sich wohler fühlen, wenn sie sich impfen lassen, wenn wir es tun."