DOMRADIO.DE: In der Corona-Krise machen Politiker Fehler. Ist es angebracht zu fordern, wir sollten ihnen vergeben?
Abtpräses Jeremias Schröder OSB (Benediktinerkongregation von St. Ottilien): Fordern kann man, glaube ich, da gar nichts. Verzeihung, kann man höchstens erbitten. Aber wenn man bedenkt, dass da Menschen sitzen, die mit dem ringen, was sie tun müssen und natürlich auch Fehler machen, dann ist Verzeihung auch dran, glaube ich. Wer die gewähren kann, der tut da sicher was Großes.
Wir Christen hängen an der Logik des Vaterunsers, dass uns vergeben wird, so wie wir vergeben können. In dieser Corona-Zeit haben wir alle Dreck am Stecken, denke ich. Da ist uns allen mal die Hutschnur und die Geduld gerissen. In dem Maß, in dem wir begreifen, dass wir selbst Vergebung brauchen, können wir auch denen verzeihen, die womöglich in verantwortlicher Position jetzt schwere Entscheidungen treffen müssen, die manchmal auch fehlerhaft sind.
DOMRADIO.DE: Ist das das Besondere am christlichen Verständnis von Vergebung?
Abtpräses Jeremias: Für uns Christen gehört dazu, dass im Hintergrund dann immer noch dieses großartige Vergebungsangebot Gottes steht. Aber ich glaube, auch Nichtchristen müssen im gemeinsamen Alltag miteinander verzeihen und vergeben können. Sonst halten wir es ja gar nicht miteinander aus – gerade in so anstrengenden und belastenden Zeiten wie jetzt.
DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie denn eine Grenze, an der Vergebung nicht möglich ist?
Abtpräses Jeremias: Das ist etwas sehr Persönliches. Jeder muss selbst in sich schauen, wie weit er gehen kann und welche Kraft er hat. Vergeben zu können ist eine große Herzens-Leistung, zu der man sich vielleicht auch aufraffen muss. Vergebung heißt auch, dass objektiv etwas passiert ist, was nicht in Ordnung war. Das kann man nicht verlangen. Man kann es immer nur vom anderen erbitten und hoffen, dass der die Stärke und die Größe sich erwirbt, um dann auch Verzeihung schenken zu können. Die eigene Verzeihung hängt da immer auch daran: dass ich selbst denen verzeihen kann, die mir was angetan haben.
DOMRADIO.DE: Haben Sie einen Tipp, wie man die Vergebung gerade in diesen Krisenzeiten gut hinkriegen?
Abtpräses Jeremias: Bei uns im Kloster haben wir jeden Abend so einen kleinen Bußakt: Vor Beginn des Nachtgebetes haben wir eine kurze Stille, wo jeder den Tag nochmal kurz Revue passieren lässt und dann sprechen wir alle gemeinsam das Schuldbekenntnis. Wir versuchen jeden Tag zu schauen, ob wir selbst irgendetwas angestellt haben, wo wir Vergebung brauchen. Ich glaube, das ist eine sehr gute Übung, die allen helfen kann, sich bewusst zu werden, was los ist.
Dann: Sprechen. Über solche Verletzungen und Verwundungen auch reden. Nicht gleich in der ersten Emotion, sondern wenn es sich schon ein bisschen gesetzt hat. "Seit drei Tagen geht mir das nach und jetzt will ich doch mal sagen: Da bin ich verletzt." Oder auch: "Da habe ich dir was getan. Entschuldige bitte." Das sind so aber die Alltags-Rituale von Vergebung und Verzeihung.
DOMRADIO.DE: Gibt es einen Unterschied zwischen "Versöhnung" und "Vergebung"?
Abtpräses Jeremias: "Vergebung" oder "Verzeihung" bezieht sich ja erst mal auf etwas sehr Konkretes, auf einen Akt, auf einen Vorgang, in dem ich demjenigen, der mir das angetan hat, vergebe. Bei "Versöhnung", da geht es, glaube ich, schon um zerrüttete Verhältnisse. Das steckt schon in diesem Wort, mit dem Sohn, dass da wirklich eine Beziehung wieder lebendig gemacht wird. Da geht es darum, dass man über das, was auf lange Sicht schiefgegangen ist, hinwegkommt.
Das Gespräch führte Katharina Geiger.