Grenzerfahrungen in einer Landschaft der Extreme

Mehr als nur Sand und Geröll

Fastenzeit ist Wüstenzeit. Jesus zumindest zog sich 40 Tage in die Wüste zurück und widerstand dort der Versuchung durch den Teufel. Aber Wüste - was heißt das eigentlich? Einladung zu einem Streifzug.

Autor/in:
Joachim Heinz
Ein Blick in die Wüste / © Son Gallery (shutterstock)

Im Anfang war das Wort. Und die Wüste. Zumindest im Evangelium nach Markus, dem ältesten jener vier Bücher des Neuen Testaments, die vom Leben und Wirken Jesu erzählen. Markus beginnt seinen Bericht mit Johannes dem Täufer, einem Prediger, der in der Wüste lebt und zur Umkehr aufruft. Jesus, so heißt es bei Markus, "ließ sich von Johannes im Jordan taufen". Daraufhin ertönt eine Stimme aus dem Himmel: "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden." Anschließend begibt sich Jesus selbst in die Wüste.

Mit der nachfolgenden Episode, die Markus' Kollegen Matthäus und Lukas noch etwas ausführlicher schildern, wird in den christlichen Kirchen die vorösterliche Fastenzeit eingeläutet. In der kargen und unwirtlichen Umgebung lenkt nichts ab von dem, was beim Fasten zählt: Verzicht, Buße und Reinigung. Das Ganze kostet außerdem Überwindung, selbst so einen wie Jesus, der laut biblischer Überlieferung nicht ganz freiwillig den Gang in die Wüste antritt: Der Geist treibt ihn dorthin, schreibt Markus.

Von Lawrence von Arabien bis Walt Disney

In die Einöde also, die alles andere als eintönig ist. Beispiel Wadi Rum in Jordanien, etwa vier Stunden Autofahrt Richtung Süden von der mutmaßlichen Taufstelle Jesu entfernt. Der britische Offizier Thomas Edward Lawrence, besser bekannt als Lawrence von Arabien, machte die Landschaft durch seinen Bericht "Die sieben Säulen der Weisheit" über den arabischen Aufstand gegen das Osmanische Reich 1917/18 bekannt.

Wenn die Sonne nicht mehr ganz hoch am Firmament steht, färben sich die Felsformationen mal in düsterem Schwarz, mal in freundlicheren Grau- und Ockertönen und schließlich in einem unwirklichen Blau. Im Vordergrund krallt sich ein Dornbusch in den Sand, dem der Wind ein Wellenmuster verpasst hat.

"Die Wüste lebt" - Produzent Walt Disney hatte in gewisser Weise recht, als er seinem Dokumentarfilmklassiker von 1953, gedreht im Westen der USA, diesen Namen gab. Trotzdem: Das Überleben wird dem Menschen in der Wüste nicht leicht gemacht. Extremsportler und Musiker Joey Kelly kann davon ein Lied singen. 217 Kilometer bei bis zu 50 Grad Hitze quälte sich der Marathon-Mann beim berühmt-berüchtigten Badwater Run zu Fuß durch Kalifornien. Die Route führt durch das "Death Valley". Das "Tal des Todes" gilt als eine der lebensfeindlichsten Gegenden des Globus'.

Kelly war bei seiner zweiten Teilnahme 2011 rund 43 Stunden unterwegs. Deutlich länger, angeblich 40 Jahre, dauerte der in der Bibel geschilderte Auszug Israels aus Ägypten, der über die Sinai-Halbinsel führte. Hier schloss Gott der Überlieferung zufolge seinen Bund mit dem auserwählten Volk - und hinterließ dem als Mittler auserkorenen Moses die Gesetzestafeln mit den Zehn Geboten. Moses war dazu auf einen Berg gestiegen - in der Wüste - und blieb dort "vierzig Tage und vierzig Nächte".

Das entspricht ziemlich exakt der Dauer, die auch Jesus in der Abgeschiedenheit verbringt und während der ihn der Satan in Versuchung führt. Im Dämonischen offenbart sich ein weiterer Charakterzug von Wüste. Sandstürme verschleiern die Landschaft bis zur Unkenntlichkeit, Luftspiegelungen führen den Reisenden in die Irre, endlose Weiten lassen das Gefühl für Distanzen verkümmern.

Gefährlicher Marsch zum "Geisterberg"

Der Afrikaforscher Heinrich Barth hat solch einen Moment in der Sahara beschrieben. Im Juli 1850 wollte Barth das rund 1.100 Meter hohe Felsmassiv des Idinen erkunden - gegen den Rat seiner einheimischen Begleiter, die vor einem Marsch zum "Geisterberg" warnten. "Abgesehen von religiösen Skrupeln erklärten sie einen Besuch des Idinen für untunlich wegen seiner großen Entfernung von hier; auch würde es sehr schwierig sein, vom Berg aus den nächsten Brunnen zu finden."

Der Gelehrte aus Deutschland schlug die Warnungen in den Wind - und fand sich sehr bald mit viel zu wenig Wasser in einer höchst prekären Situation wieder. Unter einer Tamariske brach er zusammen. "Ich litt unsäglich an Durst, obwohl ich an meinem Blut sog. Endlich wurde ich besinnungslos und verfiel in eine Art wahnsinnige Träumerei." Zum rettenden Erlöser wurde ein zufällig auf einem Kamel vorbeireitender Targi.

Die Tuareg behaupten sich seit Jahrhunderten in der mit 9,4 Millionen Quadratkilometern Ausdehnung größten Wüste der Erde. Sie trugen mit dazu bei, die Sahara zu "einer der großen Verkehrsadern der Welt" zu machen, deren Geschichte der Historiker Ralph A. Austen nachzeichnet. Gold und andere Güter - aber auch Sklaven - reisten mit Karawanen aus dem Herzen Afrikas nach Norden, "während Fertigprodukte und mediterrane Kultur ihren Weg nach Süden fanden".

Oasen zwischen Sand und Geröll

Heute führt der Austausch von Waren zu einer Wiederbelebung alter Routen. So wie bei der chinesischen Belt an Road Initiative. Sie orientiert sich an der Seidenstraße, die seit der Antike unter anderem entlang der Taklamakan-Wüste führte und den Fernen Osten mit dem Mittelmeerraum verband.

Unter Sand und Geröll liegende Rohstoffe, vor allem Erdöl, bringen bisweilen gewaltigen Reichtum - und gewalttätige Konflikte. Andernorts heizt der Klimawandel den Kampf um nutzbares Land an. Durch Irak, Syrien oder die Sahara machen sich deswegen verzweifelte Migranten auf den Weg nach Europa. Und Europa? Schaut weg. Manchmal ist Wüste das, was der Mensch daraus macht. Dann scheint sich der Satan, der in den Evangelien Jesus in Versuchung führt, die Hände zu reiben.

Der Schriftsteller Abdalrachman Munif hat in seinen Werken Wesen und Wandel speziell des arabischen Raums auf meisterhafte Weise eingefangen. Eines gehörte in den Trockengebieten der Welt schon immer dazu: die Oasen. "Unverhofft leuchtet dieser grüne Fleck inmitten der rauen und trotzigen Wüste auf wie aus dem Schoß der Erde hervorgebrochen oder vom Himmel herabgefallen", schreibt Munif.

Grenzerfahrungen in einer Landschaft der Extreme. Das letzte Wort soll an dieser Stelle der Evangelist Markus haben. Er lässt seine kurze Passage über den Aufenthalt Jesu in der Wüste mit einem Satz ausklingen, der ebenfalls irgendwo zwischen Erde und Himmel verharrt: "Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm."


Quelle:
KNA