DOMRADIO.DE: Können Sie den Schritt des Priesters nachvollziehen?
Thomas Jantzen (Evangelischer Pfarrer in der deutschsprachigen Gemeinde in Schottland und Nord-Ost England): Ja, ich kann es nachvollziehen, wenn man sich vergleicht mit England, wo das noch erlaubt ist. Wobei man allerdings sagen muss, dass die Mehrheit der englischen Gemeinden auch keine Präsenzgottesdienste feiert, obwohl sie erlaubt sind. Das heißt, es ist gar nicht so, als würden da flächendeckend Gottesdienste stattfinden und hier nicht. Deswegen relativiert sich der Unterschied.
DOMRADIO.DE: Da ist es dann eben die Eigenverantwortung der Gemeinden, die da durchschlägt?
Jantzen: Genau, die schlägt da durch. Und das zeigt ja schon an, dass es schon schwierig ist, sich dazu zu entscheiden, Präsenzgottesdienste zu machen. Wegen des hohen Infektionsgeschehens. Unsere Gemeinden haben sich ganz unabhängig von den Regelungen auch noch nicht dazu entschließen können, Präsenzgottesdienste anzubieten.
DOMRADIO.DE: Gibt es da denn auch Widerstand in den Gemeinden? Einzelne, die vielleicht sagen "Ein Jahr nicht in Präsenz zum Gottesdienst kommen - langsam reicht es, wir wollen wieder gehen"?
Jantzen: Emotional ist das ja auch nachvollziehbar. Die Sehnsucht, endlich wieder normale Gottesdienste zu haben, sich in den Arm nehmen zu können und Leute zu treffen, ist groß. Aber das ist ja auch ganz unabhängig von Gottesdiensten, denke ich mal, generell so, dass man mal wieder eine Party machen will oder zu Hause Gäste haben will.
Die Sehnsucht ist groß, aber wir haben keine Widerstände in dem Sinne, sondern die Entscheidung wird als vernünftig wahrgenommen und von der Gemeinde getragen. Wir bemühen uns natürlich auch mit der Gemeinde in Kontakt zu bleiben. Jeden Sonntag um 11 Uhr Ortszeit ist bei uns ganz normal Gottesdienst online auf YouTube und auf Zoom, sodass man die Gemeinde auch sehen kann.
DOMRADIO.DE: Ich glaube, dass es für viele in der deutschsprachigen Auslandsgemeinde wichtig ist, ein bisschen die Kultur und die Sprache zu pflegen. Kommt das im Moment ein bisschen zu kurz?
Jantzen: Jein, würde ich sagen. Natürlich, das ist der Grund. Man möchte mal wieder in seiner Muttersprache sprechen. Und das fehlt. Aber die Gemeindemitglieder sind ja im Kontakt, zum Beispiel per Telefon. Wir rufen auch an. Man kann Deutsch zumindest hören, wenn man die Gottesdienste auf YouTube hört. Man kann es lesen, wenn man unseren wöchentlichen Rundbrief liest oder eben angerufen wird.
Aber, dass man als deutsche Gruppe mal wieder zusammenkommt, die Sehnsucht ist in der Tat groß. Unser Advents-Basar, das Highlight im Gemeindeleben wurde natürlich abgesagt im Dezember. Die Leute sind schon ein bisschen ermüdet oder traurig, aber doch noch mit Verständnis. Und wir hoffen halt auf die Wirkung der Impfung. Die älteren Gemeindeglieder sind ja auch alle schon geimpft. Das ist ja relativ weit fortgeschritten hier in Großbritannien mit dem Impfen.
DOMRADIO.DE: Steigt damit dann auch schon die Hoffnung auf Oster-Gottesdienste in Präsenz?
Jantzen: Diese Diskussion haben wir jetzt noch nicht. Also wir schon, meine Frau und ich diskutieren das. Es wird wahrscheinlich nicht stattfinden, auch weil es vielleicht noch gar nicht erlaubt ist. Gerade bei uns kommen die Gemeindeglieder von etwas weiter her. Das heißt, sie müssen womöglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln kommen. Und wir wollen nicht animieren, sich einem erhöhten Infektionsrisiko auszusetzen.
Deswegen sind wir eher auf der vorsichtigen Seite. Aber es wird alles mit unseren Kirchenvorständen abgesprochen und die müssen ja entscheiden. Ich sehe im Moment nicht, dass wir Ostern schon Präsenzgottesdienste haben. Leider. Es ist natürlich schade, weil es jetzt im März ziemlich genau ein Jahr her ist, dass der letzte "normale" Gottesdienst stattgefunden hat. Das ist schon eine lange Zeit.
DOMRADIO.DE: Bekommen Sie denn mit, dass die Diskussionen rund um Öffnungen, auch für die Gottesdienste, in benachbarten anglikanischen Gemeinden auch geführt wird? Oder ist das eine katholische Debatte?
Jantzen: Nein, die wird überall geführt. Es gab auch hier in der Church of Scotland einen Brief von 200 Pfarreien, die da mehr wollten. Aber die Mehrheit der Gemeinden hat sich dann wieder staatstragend gezeigt und gesagt: Nein, das ist vernünftig, erst einmal darauf zu verzichten. Die Diskussion gibt es bestimmt in Deutschland auch. Religionsausübung ist ein Grundrecht und wir haben ja überall diese Debatte in der Öffentlichkeit, wie das bei den Einschränkungen von Grundrechten ist.
Aber man darf da jetzt nicht das eine gegen das andere ausspielen. Dem Virus ist es egal, ob wir Grundrechte haben oder nicht. Es ist nun mal durchaus auch gefährlich, auch wenn unter einem Prozent der Menschen daran sterben. Wenn alle Leute das kriegen, sind das eine ganze Menge an Menschenleben. Man darf nicht vergessen, man redet hier über Menschenleben.
DOMRADIO.DE: Warum ist es denn so, dass es in den verschiedenen Landesteilen überhaupt unterschiedliche Gottesdienst-Regeln gibt? Ist Schottland da jetzt besonders religionskritisch oder sind die Zahlen einfach so unterschiedlich in den Landesteilen?
Jantzen: Das hängt einfach damit zusammen, dass Schottland das durch die Regionalregierung selber entscheiden darf. Das ist ein bisschen so, wie die Bundesländer in Deutschland. Da ist es ja auch ein bisschen so, dass das eine Bundesland das macht und das andere macht das. Und hier setzt die schottische Regierung diese Maßstäbe. Die unterscheiden sich eigentlich nur in Nuancen von dem in England. Jetzt ist es leider so, dass es in England erlaubt ist, Gottesdienste zu feiern, aber mehrheitlich nicht gemacht wird.
In Schottland ist es noch nicht erlaubt. Demnächst vielleicht schon. Also so groß sind die Unterschiede eigentlich nicht. Auch nicht im Infektionsgeschehen. Wir haben in Schottland auch hohe Zahlen. Man darf nicht vergessen, die Zahlen hier in Großbritannien sind ja durchaus höher als in Deutschland. Und wir haben ja diese englische Variante von dem Virus. Das ist ja auch nochmal ein bisschen gefährlicher und deswegen ist Vorsicht angeraten.
Das Interview führte Gerald Mayer